Wildes Lied der Liebe
war Christy enttäuscht.
Gegen ihren Willen, von ihrem besseren Wissen ganz zu schweigen, blickte sie ihm nach, bis er zwischen den Bäumen des Pappelwäldchens verschwunden war, deren silbrig schimmernde Blätter sich in der sanften Brise bewegten wie Silbermünzen, die auf das Kleid einer Zigeunerin gestickt waren. Christy beschlich das unangenehme Gefühl, der Marshal wüsste nur zu genau, dass sie ihn beobachtete. Nun, wie du mir, so ich dir, dachte sie. Sch li eßlich hatte sie ihn oft genug dabei ertappt, dass er seine Blicke auf ihr ruhen ließ, seit sie Fort Grant verlassen hatten. Immer hatte auf seinen Zügen ein Ausdruck des Erstaunens und der Verärgerung gelegen.
Christy beschloss, das gefürchtete Zusammentreffen mit Bridget nun nicht länger hinauszuzögern, und ritt langsam den steilen Pfad ins Tal hinunter. Megan hatte die Senke bereits erreicht und trieb ihr Pony zu einem munteren Trab an, während Caney auf dem klapprigen Planwagen hinter ihr herholperte, der ein Überbleibsel aus glücklichen Tagen auf der Farm in Virginia war. Es hatte keinen Sinn, die Familie noch länger warten zu lassen.
Nach einer kurzen Begrüßung würde sie gleich den Fluss überqueren und sich Megans und ihren Anteil des Landes ansehen. Außerdem galt es, einen Platz zu finden, an dem sie eine Hütte errichten konnten, in der sie unterkommen würden, bis sie genügend Geld hatten, um ein richtiges Haus zu bauen.
Bridget stand an der Tür. Sie hatte ihr schönes langes Haar, das im Gegensatz zu Christys dunklen Locken hellblond war, zu einem weichen Nackenknoten gebändigt und trug ein blaues Baumwollkleid, das zur Farbe ihrer Augen passte. Überdies war sie unübersehbar schwanger. Bridget lachte, als Megan vom Rücken des Ponys sprang und auf sie zulief wie ein junges Füllen, das über eine Weide tollte, und nahm ihre Cousine in die Arme. Mit einem Freudenschrei und Tränen der Rührung begrüßte sie anschließend Caney.
Die turbulente Begrüßung dauerte bereits eine Weile, als Skye mit einem Weidenkorb in der Hand über die Wiese gelaufen kam, überglücklich, ihre einstige Spielkameradin Megan wiederzusehen - und Caney, da sicherlich weder sie noch Bridget damit gerechnet hatten, ihr in diesem Leben noch einmal zu begegnen. Bridgets Sohn Noah stand schüchtern an der Seite seiner Mutter. Er sah seinem verstorbenen Vater Mitch, Bridgets erstem Ehemann, erstaunlich ähnlich. Der Junge mochte inzwischen vier oder fünf Jahre alt sein und machte einen aufgeweckten Eindruck.
Zwar gelang es Christy abzusteigen, doch sie blieb wie angewurzelt neben ihrem Pferd stehen und vermochte nicht, auch nur einen einzigen Schritt zu tun. Als sie sich sch li eßlich doch dazu zwang, war ihr erster Impuls, sich auf dem Absatz umzudrehen und zu flüchten. Sogleich stand sie jedoch Auge in Auge mit Trace Qualtrough.
Sie hatte gewusst, dass Bridget und er miteinander verheiratet waren - der Marshal hatte ihr in einer der kurzen, angespannten Unterhaltungen auf der Reise davon berichtet - doch das minderte kaum den Schock, Trace Qualtrough plötzlich wiederzusehen. Die Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit Trace nagte ebenso an ihr wie die Auseinandersetzung mit Bridget, bei der sie sich gebärdet hatten wie gewöhnliche Straßenmädchen, die im Staub miteinander rauften. Sie hatte Trace seinerzeit ewige Liebe geschworen und ihn angefleht zu warten, bis sie ein wenig älter werden und aus England zurückkehren würde, um ihn zu heiraten. Trace hatte wehmütig gelächelt, Christy auf die Stirn geküsst und ihr erklärt, er habe nicht die Absicht, jemals zu heiraten. Diese Bemerkung hatte sie so schmerzlich getroffen, als hätte Trace ihr ein Messer ins Herz gestoßen.
Inzwischen war aus ihm ein reifer Mann geworden, der noch besser aussah als früher, falls das überhaupt möglich war. Dennoch löste sein Anblick in Christy nicht den befürchteten Sturm der Gefühle aus. Das unverantwortliche Verhalten ihres Vaters und die unfreundliche Natur ihres Stiefvaters schienen sie von ihrer Schwärmerei kuriert zu haben.
»Willst du weglaufen?«, fragte Trace mit liebevollem Spott und umfasste sanft Christys Schultern. Dann musterte er sie mit brüderlichem Interesse und verzog das Gesicht. »Das sieht dir aber überhaupt nicht ähnlich, Christy. Außerdem glaube ich, dass du diesmal eine Chance gegen Bridget hättest, da die Schwangerschaft sie behindern würde. Aber sei auf der Hut. Sie beißt.«
Christy lachte, beinahe schwindlig vor
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