Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
Stimme.
Hier bin ich .
War es Tante Isa, die nach mir suchte? Ich konnte das Geräusch, oder wie auch immer man es bezeichnen sollte, nicht zuordnen. Ich war nur sicher, dass es nicht Chimära sein konnte, und solange das der Fall war, durfte es beinahe wer oder was auch immer sein.
Ich lief langsam los und lauschte angespannt diesem leisen Rufen. Das Gehen tat mir weh, und es gab immer noch keinen Weg und keinen Pfad, dem ich folgen konnte, nur den Nebel. Aber ich konnte die rufende Stimme immer deutlicher wahrnehmen.
Und ausgerechnet da wollte mein Knie nicht mehr mitmachen. Es knickte unter mir ein, und ich stürzte, ohne mich mit den Händen abfangen zu können. Das tat zwar nicht weh, denn unter meinen Füßen war weder Gras noch Stein oder Erde, sondern nur eine festere Form von Nebel, aber ich konnte nicht mehr aufstehen.
Finde mich, bat ich stumm. Komm und finde mich. Ich kann nicht mehr.
Im Nebel wurde ein Umriss erkennbar. Ich sah sofort, dass es kein Mensch war, aber erst als er ganz nah war, erkannte ich ihn.
Es war der Kater.
Ich hätte gerne HAUAB gerufen, aber ich konnte nicht. Ich war vollkommen leer. Ich lag nur noch da, die Hände auf den Rücken gefesselt, mit einem Knie, das sich weigerte, mir zu gehorchen; der Kater konnte mit mir machen, was er wollte. Ich war hilflos.
Er war genauso riesig, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Groß wie ein Hund oder ein kleiner Panther. Schwarz wie die Nacht, mit buschigem Schwanz und Tautropfen im Fell. Er roch nicht mehr ganz so intensiv nach Tang, eher ganz leicht nach Salzwasser, aber seine Augen funkelten noch unverändert gelb. Er öffnete das Maul zu einem rosaroten, zahnblitzenden Gähnen und streckte sich träge. Dann kam er herangeschlendert, so langsam und entspannt, als wüsste er, dass ich nichts tun konnte, weder kämpfen noch entkommen.
Mir , sagte er, genau wie in meinen bösen Träumen. Mir .
Dann legte er sich neben mich. Ganz nah.
Und fing an zu schnurren.
Es war keineswegs so, dass ich sofort verstanden hätte, was er vorhatte. Den ersten endlosen Augenblick wartete ich nur darauf, dass er seine Krallen ausfahren oder mich in den Hals beißen würde.
Aber das tat er nicht. Er lag schnurrend an meinem Bauch, und die Wärme seines Körpers breitete sich um mich herum aus, als hätte jemand ein Lagerfeuer angezündet. Erst da wurde mir langsam klar, dass der Kater mir nichts Böses wollte. Jedenfalls nicht hier und jetzt. Ich hatte keine Ahnung, warum er mir plötzlich half, statt mich zu jagen, und ich war mir auch nicht sicher, ob man sich darauf verlassen konnte, dass es dabei blieb. Aber genau hier und genau jetzt passte er auf mich auf, als wären wir Katzenmutter und Katzenkind.
»Wer bist du?«, flüsterte ich.
Aber er antwortete nicht. Er schnurrte nur ein bisschen lauter.
Und so fand uns Tante Isa schließlich.
13 HEXENTREFFEN
Tante Isas Stube wirkte viel kleiner als sonst, was daran lag, dass sie voller Wildhexen war. Tante Isa hatte mir erklärt, wer wer war, und hatte uns einander vorgestellt, aber die Namen flatterten durch meinen Kopf, ohne sich niederlassen und jemandem zuordnen zu wollen. Der ältere Herr mit Vollbart und Tweedjacke war bestimmt Herr Malkin, und ich war mir ziemlich sicher, dass die nette Dame mit den rosigen Wangen und den schlohweißen Haaren Frau Pomeranze sein musste. Aber wie zum Donner hieß dieses junge Mädchen mit den grün-schwarz-gesträhnten Haaren? Die, die aussah, als hätte sie sich zu Fasching als Punk verkleidet? Mit schwarz geschminkten Augen, Sicherheitsnadel im Ohr und Hosen, die so löchrig waren, dass die Knie aus dem Stoff herausragten. Sie hatte ein weißes Frettchen dabei, das sich um ihren Hals geschmiegt hatte und uns alle aus blutroten Augen beobachtete.
Außerdem waren auch noch Kahla und ihr Vater da, den die anderen Meister Millaconda nannten. Er war offensichtlich genauso verfroren wie Kahla, denn er hatte seinen langen Kamelhaarmantel anbehalten, obwohl im Holzofen ein Feuer brannte und die Fenster durch die Wärme der vielen Leute schon beschlugen.
Sie alle hatten nach mir gesucht. Allein der Gedanke war schon überwältigend und ich hätte natürlich dankbar dafür sein müssen, aber jetzt gerade wünschte ich, sie würden allesamt einfach gehen. Ich wollte mit Tante Isa und Tumpe allein sein. Tumpe lag auf einer Decke vor dem Ofen und war nach Chimäras Angriff noch immer schlapp und benommen. Aber zum Glück lebte er.
Ich war so müde. Tante Isa hatte
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