Wildhexe 1 - Die Feuerprobe
oft wird man noch gleich von einer schwarzen Kampfkatze angefallen?
Aber so war es nicht. Sie starrte mich nur an.
»Oh nein«, sagte sie. Sonst nichts. Und dann fing sie an zu weinen.
Vielleicht sollte ich erst mal ein paar Sachen erklären. Meine Mutter ist keine Heulsuse. Im Großen und Ganzen ist sie sogar ziemlich zäh. Sie ist freiberufliche Journalistin, das heißt, sie ist ihre eigene Firma und lebt davon, Artikel für alle möglichen Zeitungen zu schreiben, die bereit sind, sie dafür zu bezahlen. Und das sind eine ganze Menge, denn sie ist gut und sie hat das Talent, spannende Geschichten aufzuspüren. Mein Vater lebt schon seit ich fünf bin nicht mehr bei uns, meine Mutter ist es also gewohnt, das meiste selbst zu regeln.
Sie hörte auch schnell wieder auf zu weinen, holte den Verbandskasten und machte sich daran, die Schrammen auf meiner Stirn und am Ellenbogen zu reinigen, während sie sich gleichzeitig das Handy zwischen Ohr und Schulter klemmte und versuchte, einen Arzt zu erreichen.
»Sie sind jetzt Nummer … sieben … in der Warteschleife«, sagte eine winzige, weit entfernte Automatenstimme. Mit einer wütenden Bewegung klappte Mama ihr Handy zu und holte eine Tüte tiefgefrorenen Mais und ein Geschirrtuch aus der Küche.
»Hier«, sagte sie. »Leg dir das auf die Stirn. Wir fahren hin.«
»Mein Fahrrad«, sagte ich. »Ich habe mein Fahrrad nicht abgeschlossen.«
»Vergiss es«, sagte sie. »Das ist jetzt egal. Zieh dir einen trockenen Pulli an, ich weiß nicht, wie lange wir warten müssen.«
Sie war wieder ganz sie selbst. Die Mutter, die alles im Griff hat, die Mutter, die immer auf mich aufpasst. Aber ich konnte dieses hilflose, kleine »Oh nein« nicht vergessen. Und auch nicht ihren Gesichtsausdruck, bevor sie ihre Mama-Maske wieder aufgesetzt hatte.
Ihren offenen Mund. Ganz weiß um die Lippen. Und die Tränen, die ihr einfach in die Augen geschossen waren.
Als wäre gerade die Welt untergegangen.
2 KATZENFIEBER
Das Penicillin reicht für fünf Tage«, sagte die Ärztin und gab meiner Mutter ein Rezept. »Und Clara … keine Katzen mehr ärgern, ja?«
»Ich hab sie nicht geärgert«, sagte ich. Mein Kopf tat weh und fühlte sich irgendwie größer und wärmer an als sonst. Nach der Tetanus-Spritze tat jetzt auch meine Schulter weh und die Katzenkratzer zwischen meinen Augen brannten. Es war total ungerecht, dass unsere sonst so nette Ärztin so tat, als wäre alles meine Schuld.
»Natürlich nicht«, sagte sie. »Aber halt dich vorläufig lieber von Katzen fern.« Sie schaute wieder zu meiner Mutter hoch. »Rufen Sie mich an, falls Rötungen oder Schwellungen auftreten oder sich rund um die Verletzung Blasen bilden. Wir wollen ja nicht, dass sie die Katzenkratzkrankheit bekommt.«
»Katzenkratzkrankheit?«, sagte Mama. »Was ist das denn?«
»Viele Katzen sind Träger eines hässlichen Krankheitserregers namens Bartonella, der auch auf Menschen übertragen werden kann, aber das Penicillin sollte diese Bakterien gleich im Keim ersticken. Sie müssen sich keine Sorgen machen.«
Ich machte mir keine Sorgen, jedenfalls keine großen. Ich hatte weit mehr Angst davor, dass das Katzenmonster auf die Idee kommen könnte, mir noch einmal aufzulauern.
Auf dem Heimweg hielten wir erst an der Apotheke in der Jernbanegade an und danach bei La Luna , unserer Lieblingspizzeria.
»Hawaii mit Extra-Käse?«, fragte Mama.
»Ja«, sagte ich, obwohl es mir komisch vorkam, am helllichten Tag Pizza zu bestellen. Aber es regnete noch immer Bindfäden, und ich hatte ein schweres, grippeartiges Gefühl im ganzen Körper. Ich wusste nicht, ob übertriebene Mengen geschmolzenen Käses dagegen helfen konnten, aber einen Versuch war es wert.
Es war keine Rede davon, dass ich zur Schule gehen sollte. Mama benahm sich vielmehr so, als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis diese Bartonella-Bakterien mich trotz Jod, Alkohol und Borsäure oder zumindest trotz Penicillin und einer gründlichen Wundreinigung niederstrecken würden. Als wir die Pizza gegessen und den Tisch abgeräumt hatten, wollte ich ein bisschen in meinem Zimmer Computer spielen, aber stattdessen überredete sie mich, mir ein Buch zu nehmen und mich auf dem Gästebett im Arbeitszimmer unter die Wolldecke zu kuscheln, solange sie dort arbeitete. Das war gemütlich, keine Frage, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass es ihr vor allem darum ging, mich nicht aus den Augen zu lassen.
Kurz nach drei bekam ich eine SMS . Sie war von
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