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Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken

Titel: Wildhexe 2 - Die Botschaft des Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lene Kaaberbol
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Boden.
    »Hoffnungslose Missgeburt«, knurrte Chimära und fegte sie mit einem Flügelschlag beiseite. »Hau ab und stirb irgendwo anders!«
    »Tschuldigung«, jammerte Nichts. »Ich habe es ja versucht. Ehrlich! Aber es ist wirklich furchtbar schwer, mit dem Leben aufzuhören, wenn man erst einmal damit angefangen hat!«
    Sie flatterte wild mit den Flügeln und erhob sich dabei vielleicht einen Meter über den Grottensand. Beinahe wäre sie mit einem großen grauen Vogel kollidiert, der aus derselben Richtung heranrauschte, aus der auch der Seehund gekommen war. Es war keine Möwe, sondern eine Wildgans mit lackrotem Schnabel und breiten schwarzen Streifen über Brust und Hals. Sie warf sich auf die Seite und entging so dem Zusammenstoß, dann landete sie schief und flügelschlagend auf dem glatten Höhlenboden. Sie krächzte kampfbereit, und ich fand, es klang ein bisschen so, als würde ein kleines Auto einen Lastwagen anhupen, aber Chimära ballte eine Klaue in der Luft, und das Schimpfen der Gans verstummte auf der Stelle. Sie sank auf Brust und Bauch, als wollten ihre Beine sie nicht mehr tragen, und die flatternden Flügel hielten still.
    »Feuer«, befahl Chimära schließlich.
    Dieses Mal dauerte es etwas länger, bis jemand aus der Dunkelheit auftauchte. Aber schließlich wurde das Kratzen von Krallen auf dem Felsboden hörbar, und eine kleine knorrige, stachelige Echse watschelte widerwillig in den Kreis. Ich erkannte sie sofort – es war eine Feuerechse wie die, denen ich im Herbst beim dritten Teil meiner Hexenprüfung begegnet war. Sie war zwar nicht so weit von ihrem Lebensraum entfernt wie die anderen drei, aber auch sie fühlte sich nicht wohl – sie wollte lieber zurück in die Dunkelheit. Im Tageslicht, das durch die Schächte fiel, war sie unsicher und hatte Angst vor Chimära. Aber sie gehorchte.
    Chimära beugte sich hastig über den Maulwurf und packte ihn mit einer ihrer Klauenhände. So schnell, dass ich es fast nicht erkennen konnte, zog sie eine Kralle über seine Kehle. Er riss das Maul auf, als wollte er nach Luft schnappen, aber stattdessen quoll Blut aus seiner Schnauze und aus der Wunde darunter auf sein erdschwarzes Fell. Chimära ließ das kleine blutende Bündel zurück in den Viertelkreis fallen, schlug einmal mit ihren Flügeln und landete direkt hinter dem Seehund.
    »Nein!«, schrie ich, oder ich versuchte jedenfalls zu schreien. Nach dem Schlag, den mein Nacken abbekommen hatte, drehte sich noch immer alles, und meine Stimme klang noch kleiner und dünner, als sie ohnehin schon war. Chimära wollte die Tiere umbringen! Das also hatte sie mit Blutkunst gemeint, sie brauchte das Blut der Tiere, sie …
    Brauchte mein Blut.
    Und ich wusste noch nicht einmal, wofür. Aber in diesem Moment war mir das auch fast schon egal.
    » KATER! «, schrie ich, laut und in meinem Kopf, mit allem, was in mir steckte. » JETZT! «
    Es lagen so viele Dinge in diesem jetzt , dass ich mehrere Minuten gebraucht hätte, um es zu erklären – dass er kommen sollte, dass wir gemeinsam kämpfen mussten, wie wir noch nie zuvor gekämpft hatten, dass es ernst war, dass ich bereit war, dass es jetzt hieß oder nie.
    Er kam nicht. Es war haargenau wie bei den Wildhunden, ich schrie um Hilfe, aber er kam nicht, er hatte mich verlassen, er hatte …
    Haargenau wie bei den Wildhunden.
    In meinem Kopf wurde es ganz still. Als würde darin ein Film ablaufen, in Zeitlupe und ohne Ton. Noch einmal starrte ich auf Fetzenohrs Kiefer, der sich um mein Kinn und meinen Hals schloss, sah ihre Zähne blitzen, ein Loch in meine Haut bohren, spürte, wie sich das Blut von mir zu ihr bewegte. Mein Blut. Viridians Blut.
    »Erinnere Viridian«, flüsterte ich.

24  LEBENSRÄUBER

    Ihr milden Mächte. Das Mädchen ist doch kaum trocken hinter den Ohren. Und komplett unausgebildet!
    Ich blickte an mir selbst hinunter, und es war, als würde ich meinen Körper mit fremden Augen sehen. Augen, die mich betrachteten wie ein Kind, unfertig, schwach und ungefähr so nutzlos wie Nichts.
    Sie hat ja noch nicht mal Brüste!
    Wie kann man rot anlaufen und sich mies fühlen, obwohl man eigentlich in Lebensgefahr schwebt?
    Auf, Mädchen! , kommandierte die neue barsche Stimme in meinem Kopf. Auf-auf-auf!
    Plötzlich stand ich wieder auf den Beinen. Chimära, die sich gerade über den Seehund im Wasserviertel des Rads gebeugt hatte, richtete sich ruckartig auf. Sie drehte sich um, und ein Flügel fegte auf mich zu, bestimmt, um mich

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