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Wildhexe - Die Feuerprobe

Titel: Wildhexe - Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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den Rat und das Gesetz achte. Aber seit wann verlangt das Gesetz, dass man sich damit abfinden muss, wenn die eigene Hexenehre von einem verwirrten Mädchen, das noch nicht mal eine Maus herbeirufen kann, in den Dreck gezogen wird? Sie ist keine Wildhexe. Sie dürfte hier heute gar nicht stehen. Und ihre sogenannte Anklage ist von vorne bis hinten erlogen. Ich weiß nicht, wer Isas Stalltür angezündet hat – vielleicht das Mädchen selbst? Ich weiß auch nicht, wer Isas Hund verletzt hat. Vielleicht war auch das dieses Mädchen da. Aber ich weiß, dass die verehrten Mütter des Rats klug genug sind, um zu durchschauen, dass ihre Behauptungen Lügen sein müssen . Schaut sie euch an. Und dann mich. Sie behauptet, sie hätte mich verjagt – vermutlich sollen wir auch noch glauben, sie hätte das mit einer Beschwörung geschafft. Noch dazu mit kaltem Eisen um den Hals. Das würde in Wahrheit eine Wildhexe mit fantastischen Fähigkeiten verlangen. Schaut sie euch an, verehrter Rat – ist diese Geschichte glaubwürdig?«
    »Nein«, murmelte Valla. »Das klingt höchst seltsam.«
    »Clara lügt nicht«, sagte Isa. »Und sie ist eine ganz besondere Wildhexe, sie ist nur nicht –«
    »Isa, ich habe dich gewarnt«, sagte Thuja. »Hier im Hexenrat geht es nicht darum, wer sich die teuersten Anwälte leisten kann. Hier vertritt jede Hexe ihre Angelegenheiten selbst.«
    »Und wer keine Hexe ist, redet erst gar nicht«, sagte Valla. »Vielleicht spricht das Mädchen ja deshalb so leise, dass man sie kaum verstehen kann. Wie wäre es, wenn wir damit anfingen, zunächst zu klären, ob sie überhaupt eine Wildhexe ist ? Sag ihr, sie soll irgendein Tier herbeirufen.«
    Ich stand mit offenem Mund dabei und hatte das Gefühl, als hätte man mir soeben den Boden unter den Füßen weggezogen. Chimära hatte mich niedergeschlagen, mich gefesselt und entführt – und trotzdem war plötzlich ich die Angeklagte?
    Angeklagt, ja. Keine Wildhexe zu sein. Und vielleicht war ich das auch nicht. Es war ja richtig – wer hatte denn schon je von einer Wildhexe gehört, die nichts anderes konnte, als HAUAB zu brüllen?
    »Eine Maus«, sagte Chimära triumphierend. »Sagt ihr, sie soll eine Maus herbeirufen. Wenn sie das nicht kann, ist sie auch keine Hexe, und dann ist es himmelschreiend offensichtlich, dass auch der Rest ihrer Behauptungen nicht stimmen kann. Dann gehört sie mir!«
    Ihre Augen funkelten gierig, und wieder machte sie diese Bewegung mit ihrer Klaue.
    Ich war innerlich völlig leer. Da war kein Gedanke mehr und kein Gefühl, nur noch blanke, rohe Panik und eine winzige, verzweifelte Stimme, die nichts als Ich-kann-das-doch-nicht , Ich-kann-das-doch-nicht rief. Ganz leise hörte ich Frau Pomeranze ein kleines, hoffnungsloses »Oh nein …« seufzen.
    »Meine Nichte hat ihre Ausbildung gerade erst begonnen«, sagte Isa. »Sie ist besser darin, Tiere zu verjagen …«
    »Das kann jeder, der laut genug brüllt«, sagte Valla. »Jetzt seht endlich zu, dass sie eine Maus herbeiruft, damit wir weitermachen können.«
    Ich schloss die Augen und versuchte verzweifelt, den Wildsinn zu benutzen, aber ausgerechnet jetzt konnte ich nichts anderes spüren als meine eigene Panik. Oder doch nicht? Plötzlich merkte ich, wie etwas innen in meinem Hosenbein nach oben kletterte. Überrascht machte ich die Augen auf und vergaß fast, Angst zu haben. Ich spürte, wie etwas unter meinen Pulli schlüpfte und sich mit winzig kleinen, warmen Pfötchen in meinem Ärmel nach unten bewegte. Ich streckte die Hand mit der Handfläche nach oben aus, und aus meinem Ärmel spazierte eine kleine, dünne graue Maus.
    Ich weiß nicht, woher sie gekommen war. Ich weiß es wirklich nicht.
    Aber sie saß einfach da, auf meiner Handfläche, und putzte sich die rosa Schnauze mit kleinen grauen Mäusepfötchen. Ihre Tasthaare vibrierten an meinen Fingern. Das konnte unmöglich die Mäppchenmaus sein, aber sie sah exakt so aus.
    »Ja, ja«, sagte Valla und klang fast enttäuscht. »Dann wäre das geklärt. Das Mädchen ist eine Wildhexe. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, ob sie die Wahrheit sagt.«
    Chimära schien außer sich vor Wut zu sein. Sie hatte nicht erwartet, dass ich es schaffen würde. Tatsächlich hatte nicht einmal ich selbst damit gerechnet. Es hatte sich nicht so angefühlt. Aber die Maus saß da, und für den Augenblick reichte das aus.
    »Gut«, sagte Chimära schließlich. » Vielleicht ist sie eine Hexe. Aber sie ist noch immer eine

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