Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
umzubringen.“
„ Nein, Anna, hör auf!“
„ Ich muss mich entscheiden: jetzt oder irgendwann, wenn er die grässlichsten Scheußlichkeiten an mir begangen hat.“
Jan ließ sich auf die muffige Matratze sinken.
„ Liebst du mich?“
Würde sie von seiner Liebe fordern, dass er sie erwürgte?
„ Liebst du mich?“, rief sie.
„ Anna, wir dürfen nicht aufgeben. Im Sommer sind wir zurückgekehrt und wir werden auch in diesem Winter –“
„ Ihm ist noch keine entkommen, sonst wüsste das FBI davon. Und selbst wenn ich in einigen Monaten oder Jahren die Erste wäre, die flieht oder befreit wird, wäre das danach noch ein Leben? Würde das die Gefangenschaft aufwiegen?“
Jan wusste keine Antwort.
„ Nein, du darfst mich nicht töten“, rief sie erschreckt. „Er würde sich an dir rächen. So grausam, wie er ist, und so viel, wie er daran gesetzt hat, um an mich zu gelangen, würde er dich zu Tode foltern.“
Die Matratze schien ihn nicht länger zu tragen. Ein freier Fall ins Nichts. Die alte Welt hielt ihn nicht mehr, nichts hatte mehr Bestand, nicht einmal die grundlegendste aller Gewissheiten: dass er leben wollte.
Ein Geräusch über ihnen. Leise, dennoch sprang Jan auf. Da brach die Hölle los: Anna schrie wie eine Besessene, ihre Ketten klirrten, die Matratze wackelte.
Jan wich erst einen Schritt zurück, dann streckte er beide Arme aus und bewegte sich auf sie zu.
Etwas streifte ihn. Ihre Hand traf ihn am Unterarm.
Er machte noch einen Schritt, stieß mit ihr zusammen und packte sie.
Sie bäumte sich auf, tobte, wand sich – und sank zusammen. Er legte sie auf der Matratze ab und setzte sich neben sie. Verrückt zu werden, war letztlich eine vernünftige Reaktion, so unzumutbar, wie die Realität war. Eben hatten sie noch von Agenten umgeben den Mörder gejagt, und nun waren sie ihm ausgeliefert. Ralph hatte den Gegner unterschätzt und dafür mit dem Leben bezahlt. Bald würden auch sie dafür zahlen müssen.
Ein gedämpfter Knall. Jan zuckte zusammen und lauschte.
Der Deckel wurde zur Seite geschleift, Licht fiel in ihren Raum. Eine Gestalt beugte sich über die Öffnung und kletterte die Leiter hinunter. Ein Mann mittlerer Größe. Die letzten Sprossen sprang er und drehte sich um. Jacke, Mütze und Soft-Shell-Maske verhüllten ihn.
„ Kein Wort! Tut, was ich euch sage!“
Er kniete sich neben Anna und löste ihre Kette. „Warte oben“, befahl er und befreite auch Jan, der ihr rasch hinterherkletterte.
Anna stand bleich neben dem Ausstieg. Der Stämmige, der sie vorhin angekettet hatte, lag einige Meter weiter auf dem Boden, sein Gesicht in einer Blutlache.
Der Vermummte ließ das Garagentor hoch. „Steigt ein!“
„ Die Killer haben noch eine Gefangene“, protestierte Anna.
„ Macht schon!“ Der Vermummte riss die Tür auf und zerrte Anna zum Wagen. „Die Gangster werden gleich nachschauen, was los ist.“
Anna wehrte sich. Der Vermummte verdrehte ihr beide Arme hinter dem Rücken und stieß sie auf die Rückbank. Jan hasste sich für seine Härte, aber er kletterte ihr hinterher und schlug die Tür zu. Sie konnten nichts für Laura tun.
Der Vermummte setzte rückwärts aus der Garage heraus und fuhr auf die Durchfahrt in der Außenmauer zu. Ein orangefarbenes Licht begann zu blinken, doch das Tor blieb offen. Das Gitter ratterte auf der Stelle – der Vermummte musste es blockiert haben.
Sie passierten das Tor, der Wagen holperte wild. Eine halsbrecherische Fahrt auf dem unebenen, schneebedeckten Untergrund.
An der Straße schlug der Vermummte die abschüssige Richtung des Dorfes ein und reichte ihnen einen Rucksack nach hinten. „Zieht das an! Sofort!“
Jan holte Winterkleidung und zwei Masken aus dem Rucksack und gab die Hälfte an Anna weiter.
Kaum hatten sie sich angezogen, bremste der Mann und sprang aus dem Wagen. Jan und Anna folgten ihm zu einem Busch, der einen Motorschlitten verdeckte. Erst Anna und dann Jan klemmten sich hinter den Fahrer.
Ohne Licht folgten sie den Kufenspuren. Wenn es bergauf ging oder der Mann auf freier Flur beschleunigte, heulte der Motor hell auf. Das Dorf war längst aus ihrer Sicht entschwunden, nur die Mondsichel, die Sterne und die grünen Nebel des Nordlichts leuchteten. Von einer Kuppe blickte Jan zurück. Es war wie im Traum: das Schimmern des Schnees, der Schatten der Wälder, alles in bewegungsloser Schwebe.
Sie schossen dahin. Seine Angst ließ nach. Selbst das Schuldgefühl verlor sich. Laura schien so fern
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