Wildnis: Thriller - Band 2 der Trilogie
verlassen hatten, hatte Jan Annas Gesicht nur zweimal kurz gesehen: als der stämmige Gangster sie in das Loch getrieben hatte und während der Fahrt mit Oliver vom Haus zum Motorschlitten.
Staub klebte auf ihrem Gesicht, die Augen waren gerötet. Ihr Lächeln sank langsam in sich zusammen. „Wir sollten uns nicht wieder küssen.“
Er nickte. So freundlich war sie noch nie auf Distanz gegangen – und so fertig, wie er sich fühlte, war es ihm recht.
„ Wir müssen einen klaren Kopf bewahren.“ Ihre Stimme wurde kühler. „Ich mag diesen Oliver nicht. Er kommandiert uns herum und verschweigt uns zu viel.“
„ Ich würde auch gerne mehr über ihn erfahren, aber ich glaube nicht, dass er viel preisgeben wird. Er hat uns etwas über diese Verschwörung erzählt, damit wir ihm berichten, was uns widerfahren ist. Jetzt haben wir ihm nichts mehr zu bieten.“
„ Er weiß unheimlich viel, und ich frage mich, woher! Wie hat er dieses Politkomplott aufgedeckt?“ Sie strich sich eine Locke hinter das Ohr. „Um ehrlich zu sein, es fällt mir schwer, daran zu glauben. Andererseits erklärt es, weshalb die Gangster all die Mittel haben, um das FBI zu infiltrieren und in der Mine so massiv und organisiert zuzuschlagen.“
„ Ja, und das mit Wilken und Refford und den Öl-Milliarden, das stimmt, das hat Ralph auch gesagt. Und da hat er uns sicher nicht belogen, schließlich konnten wir mit allen möglichen FBI-Agenten sprechen. Uns Unwahrheiten aufzutischen, wäre zu waghalsig gewesen. Ich glaube, die Verschwörung gibt es tatsächlich. Allerdings verstehe ich nicht, wieso wir da mit hineingezogen worden sind.“
„ Ich habe Hunger und Durst.“ Anna schnellte unvermittelt hoch und ging in die Küche.
Jan schaute hinter die Türen an der Seite des Wohnzimmers und fand ein Elternzimmer mit Doppelbett, ein Kinderzimmer und ein Bad, das sich nicht abschließen ließ. Er benutzte die Toilette.
Als er zurückkam, knabberte Anna Salzstangen. Vor ihr standen zwei geöffnete Bierflaschen.
„ Das einzige Getränk im Sortiment.“ Sie lächelte. „Wasser kommt keines aus dem Hahn.“
„ Das ist mir auch schon aufgefallen. Wenn wir hier bleiben wollen, sollten wir das Wasser irgendwie in Betrieb nehmen. Wir können nicht nur Bier trinken, und eine Toilettenspülung ist auch keine schlechte Sache.“ Grinsend setzte er sich zu ihr und stieß an.
„ Es ist der Wahnsinn“, sagte Anna nach dem ersten Schluck, „da hocken wir irgendwo im tiefsten Winter in Alaska, sind in einer Mine entführt und von einem Unbekannten befreit worden, und trinken Bier.“
Jan versuchte, sich vorzustellen, was seine Eltern in Deutschland gerade taten, um ein Gefühl für die Wirklichkeit zurückzugewinnen.
„ Als sie Juanita erschossen –“, begann Anna.
Das Bild seiner Mutter wurde von einem anderen verdrängt: Etwas tropfte vom Röhreneingang, durch den er zu den Gangstern kriechen musste. „Ja“, unterbrach er sie schnell, „mir hat sich der Magen auch umgedreht.“
„ Ich habe bloß gerade an Ralph gedacht und wie er reagiert hat, als sie Juanita exekutiert haben. Plötzlich war er zum ersten Mal panisch, dabei muss er schon davor gesehen haben, wie jemandem das Gehirn herausgeschossen wird. Ich glaube, an der Stelle war etwas Anderes abgesprochen und Ralph hat kapiert, dass die Gangster ihr Wort brechen werden. Meiner Meinung nach haben sie ihn aus dem Hubschrauber geworfen. Vielleicht wollten sie Geld sparen.“
„ So dumm war Ralph nicht. Er hat sich bestimmt davor ausbezahlen lassen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er das für Geld getan hat.“
„ Geld wird er bestimmt kassiert haben, vermutlich genug, um den Rest seines Lebens auf einer Südseeinsel zu verbringen. Aber ich stimme dir zu, er musste daneben noch ein anderes Motiv haben.“ Sie friemelte am Etikett der Bierflasche.
„ Er war ein verletzlicher Zyniker. Das ist eine gefährliche Mischung.“
„ Dass ihn seine Verlobte hat sitzen lassen, darüber war er noch nicht hinweg, das war ziemlich deutlich, als er davon erzählt hat.“ Sie löste das eingerissene Etikett von der Flasche und strich es glatt. „Und dann seine Witze über die Chef-Etage und den großen Häuptling, da könnte auch etwas dahinterstecken.“
Jan betrachtete ihre Hände, den Dreck unter ihren ovalen Fingernägeln und das helle Halbrund am Nagelbett. „Solange wir mit Ralph zusammen waren, habe ich ihm restlos vertraut“, sagte er und war sich nicht sicher, ob
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