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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Parker
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Bild noch fest. Er schoss noch einmal, den Lauf zwei Zentimeter nach links bewegend, dann noch einmal, vier Zentimeter weiter rechts, und noch einmal, vier Zentimeter weiter links. Er schoss systematisch, in einer hin und her gehenden, bogenförmigen Bewegung, sich auf die Stelle konzentrierend, an der das Streichholz aufgeflammt war. Janet kauerte hinter ihm, durch den Baum gedeckt, eine Hand an der Innenseite seines rechten Knies, in der anderen Hand den kleinen, silbrigen Revolver. Er hörte ein Stöhnen, hörte Karls Stimme: „Richie?“ und noch einmal, in höherer Tonlage: „Richie?“ Und dann schossen sie zurück. Sie schossen auf das Mündungsfeuer des Karabiners. Zwei Patronen schlugen in den Baumstamm, eine dritte zischte durch das Laub zu ihrer Rechten. Er hörte Karl fluchen.
    „Scheißkerl“, sagte Karl. „Verdammter Scheißkerl.“ Die nächste Kugel schlug in einen Baum irgendwo hinter Newman ein. Der Karabiner warf die fünfzehnte Hülse aus, der Abzug klickte, die Waffe war leer. Newman kauerte sich hinter den Baum, streifte den Rucksack ab und kramte fieberhaft darin herum. Er fand die Schachtel mit den Patronen und lud das Magazin im Dunkeln nach, ungeschickt und mit dem Feind in der Nähe. Da er nichts sehen konnte, zählte er. Janet kniete hinter ihm, den Revolver schussbereit und blickte in die Dunkelheit. Er stand mit dem Gesicht nach Osten und in dieser Richtung hellte ein leiser Hauch von Grau die Schwärze auf. Fünfzehn, zählte er, tastete mit dem Daumen über die Kugeln, um sicherzugehen, dass sie richtig saßen, schob das Magazin wieder ein und ließ es durch einen Schlag mit der Handfläche einschnappen. Er spürte eine kribbelnde Erleichterung in Gesäß und Rücken. Sicherheit ist relativ, dachte er. Weil die Knarre geladen ist, fühle ich mich sicher.
    Vor ihnen war kein Laut zu hören. Nachdem die Schüsse verstummt waren, schien die Stille im Wald zu dröhnen. Der kriegerische Lärm hatte die normalen Waldlaute überdeckt. Als er sich an die Stille gewöhnt hatte, hörte Newman zweierlei – mühsames Atmen undganz schwache Geräusche von Schritten. Der Himmel wurde noch einen Hauch heller. Newman hockte sich neben Janet und legte ihr seinen Mund ans Ohr.
    „Wir müssen weiter“, flüsterte er. „Einer ist davongekommen. Er ist vor uns.“
    Sie nickte. Er konnte sie in dem frühen Dämmerlicht kaum erkennen, aber er spürte die Bewegung, weil sein Gesicht so nah war. Er wollte aufstehen, aber sie nahm seinen Arm, legte ihre Hand an seine Wange und zog sein Ohr an ihre Lippen.
    „Es ist fast hell. Warum warten wir nicht, bis wir etwas sehen können?“
    „Er wird einen Vorsprung herausschinden“, flüsterte er zurück.
    „Du erwischst ihn schon.“
    Sie hatten eine Kopfbewegung entwickelt, bei der jeder in das Ohr des anderen flüstern konnte.
    „Glaubst du?“
    „Wie weit kannst du laufen?“
    „Zehn, fünfzehn Meilen.“
    „Und er?“
    „So viel wahrscheinlich nicht.“
    „Dann lass uns wenigstens so lange warten, bis wir was erkennen können.“
    „Okay.“ Er blieb neben ihr hocken. Die Schritte waren nicht mehr zu hören, dafür aber das Atmen, das immer mühsamer wurde. Jetzt begann es zu rasseln. ImOsten war der Himmel weiß. Newman konnte Janet deutlich erkennen. Vögel begannen zu singen.
    „Geh du dort herum“, flüsterte er und deutete nach rechts. „Ich komme dir von der anderen Seite entgegen. Robb dich heran, und sieh dich vor.“ Er berührte ihre Hand und sie lächelte ihm zu. Geduckt verließ er die Deckung der Eiche und ging in die Richtung, aus der das Atmen kam. Der Karabiner war schussbereit, der Finger lag am Abzug, das Magazin war voll. Den großen Dicken sah er zuerst. Er war es, der so mühsam atmete. Er lehnte an einem Baum, einen kurzläufigen Revolver in der Hand, die Hände im Schoß. An seinem Hals und vorn auf seinem Hemd war Blut. Sein Mund stand offen, er schien nach Luft zu ringen. Die Augen waren zusammengekniffen, der Kopf fiel immer wieder nach vorn und ruckte dann hoch, wie bei Autofahrern, die drauf und dran sind, am Steuer einzuschlafen. Auch sein Kinn war mit Blut beschmiert, durch das die Bartstoppeln schimmerten.
    Neben seinen ausgestreckten Beinen lag, mit dem Gesicht nach unten, Richie Karl. Tot. Die Kugel ist vorn eingedrungen und hinten wieder ausgetreten, dachte Newman. Komisch, scheint mich gar nicht zu berühren. Man gewöhnt sich an alles. Er sah Janet in einer Gruppe von Birken hinter Richie Karl, dann kam

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