Wildwasserpolka
sich ziemlich lang. Und überhaupt fiel mir wieder ein, dass es mich nichts anging. Das hier war eine private Einladung, kein Undercovereinsatz, und ich hatte mich entsprechend zu benehmen.
Warum, frage ich mich jetzt, habe ich das nicht von Anfang an getan? Falls Müller keine hyperaktive Putzfrau hat, wird sich die Spurensicherung freuen. Und noch über einiges mehr, denn meine Blödheit kannte an diesem Abend schier keine Grenzen. Das dicke Ende kam erst noch.
Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir vom Sport so gut durchblutet waren, an der Schwere des Weins oder am Grappa, den Tom ebenfalls von einem speziellen umbrischen Weingut bezog, und den wir unbedingt probieren sollten. Jedenfalls waren wir alle schnell angeschickert, bis auf Hans, der noch fahren musste.
Wir tranken weiter, und weil Hans sich nun doch nicht massieren lassen wollte, war ich dran.
Der Alkohol besänftigte das Gemüt und die Wassermassageliege verwöhnte meinen Körper – eine sinnliche, harmonische Atmosphäre. Bis ein Handy dudelte. Es war der Babysitter-Hausalarm bei Heidi und Hans. Keine drei Minuten später waren sie verschwunden.
Ich weiß, es wäre an der Zeit gewesen, ebenfalls aufzubrechen. Allein mit einem Mann, den ich lediglich aus dem Fitnessstudio kannte, in seinem Haus, im Keller, auf einer Massageliege. Einer Wassermassageliege.
Okay, sagte ich mir, ich bin gleich weg. Nur noch zwei Minuten. Doch das Ding walkte und wogte und machte mich willenlos, meine Glieder wurden schwer wie Blei und zugleich weich wie Gummi.
Tom, der Hans und Heidi zur Tür gebracht hatte, kam gerade zurück. Reiß dich zusammen, sagte ich mir.
»Ich breche dann auch mal lieber auf«, verkündete ich, »sonst schlafe ich auf dem Ding noch ein.«
»Wäre kein Problem«, meinte mein Sportskamerad, und ich dachte noch, für ihn vielleicht nicht, für meine Leute daheim schon. Sein Angebot, mich nach Hause zu fahren, lehnte ich in Anbetracht seines Alkoholpegels dankend ab. Ich zückte mein Handy und wollte mir ein Taxi rufen, hatte jedoch im Keller keinen Empfang.
»Auf ein letztes Glas, Johanna! So jung kommen wir nie wieder zusammen.« Tom hatte bereits nachgeschenkt.
Also gut, auf ein Glas. Wir plauderten noch eine Weile, und aus dem einen Glas wurden zwei oder drei, bis wir endlich den Wellnessraum verließen. Im Kellergang lehnte ein Jungenfahrrad.
»Hey, hast du Kinder?«, wollte ich wissen.
»Ja, einen Sohn. Aber ich lebe allein hier, einsam und verlassen.« Tom zog eine mitleidheischende Schnute.
»Immerhin scheint er dich besuchen zu kommen«, wiegelte ich mit Blick auf das Fahrrad ab.
»Nur, wenn wieder ein neues iPod-Modell auf den Markt kommt. Aber was willst du von einem 17-Jährigen erwarten?« Tom zuckte resigniert mit den Achseln.
Oha! 17. Der Radgröße nach hatte ich an einen Sechsjährigen gedacht.
»Sie wachsen unglaublich schnell«, sinnierte ich vage, weil ich mir im fremden Keller kein Scheidungsdrama anhören wollte. »Yannick, mein Sohn, hat vor ein paar Monaten ein Rad von der Oma bekommen, und jetzt ist es schon zu klein.«
»Wie alt ist dein Sohn?«
»Fünf.«
Tom deutete mit dem Kinn auf das Rad. »Das dürfte doch passen. Nimm’s mit!«
War das sein Ernst? Immerhin handelte es sich um ein teures Markenrad, das aussah wie neu. Bei Ebay würde man locker einen Hunderter dafür kriegen.
Ich sah ihn fragend an.
»Ich ziehe bald um, das Haus ist seit Kurzem verkauft«, verkündete er. »Bitte schön, ich habe keine Verwendung mehr dafür!« Seine ausladende Geste schloss nicht nur das Fahrrad, sondern das ganze Gebäude ein. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, kommt sie mir geradezu prophetisch vor. Damals waren wir einfach nur betrunken.
»Hey, dann brauche ich ja gar kein Taxi!« Schon hatte ich mich auf das Rädchen geschwungen und rollte mit angezogenen Knien den Gang entlang. Was nicht lange gut ging. Tom half mir auf und bot mir erneut an, mich nach Hause zu fahren. Für einen Widerspruch fehlte mir plötzlich der Kampfgeist.
Wir standen in der Garage. Tom hatte Licht gemacht, und ich ließ mich erleichtert auf den Beifahrersitz seiner Luxuskarosse plumpsen. Das Garagentor hob sich wie von selbst.
Tom war ebenfalls eingestiegen, und ich sagte irgendwas wie »Du bist ein Netter« und tätschelte seinen Arm, und in diesem Moment beugte er sich zu mir herüber und küsste mich.
Hoppla.
Nicht dass mich die Leidenschaft völlig entfesselt hätte, doch der Kuss war angenehm, Tom roch gut nach
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