Wildwasserpolka
aber dann sind die Dinge aus dem Ruder gelaufen. Ich kam dahinter, dass Waskovic Mordaufträge verteilte. Thomas Müller ist tot, verstehst du? Aber ich war nicht diejenige, die ihn umgebracht hat. Waskovic will mir den Mord in die Schuhe schieben.« Ich hole tief Luft. »Und zu dem Geld, von dem die Rede war, die unterschlagenen 2,5 Millionen: Ich weiß nicht, wo sie geblieben sind, bei mir sicher nicht. So sieht es aus, Herbert.« Innerlich zähle ich bis fünf, ehe ich frage: »Glaubst du mir?«
Herbert gibt keine Antwort. Wie soll er auch so schnell seine Vernunft über Bord werfen? Wie all die Fakten ignorieren, die gegen mich sprechen?
Immerhin ist er noch dran.
»Wenn ich aus dieser Sache rauskommen will, brauche ich Beweise«, sage ich. »Ich muss Waskovic nachweisen, dass er das alles eingefädelt hat, weil er etwas vertuschen möchte. Ich muss ihm den Mord nachweisen und seine krummen Geschäfte. So ist die Lage, Herbert, jetzt weißt du Bescheid. Denk drüber nach, ob du mir helfen willst, ich würde verstehen, wenn du’s ablehnst. Aber ich bitte dich: Rede in Gottes Namen mit niemandem darüber! Die Sache ist brandgefährlich, und ich möchte nicht, dass du auch noch mit reingezogen wirst.« Das Wichtigste ist gesagt. Ich schließe die Augen.
Stille.
»Was würdest du wissen wollen, für den Fall, dass ich dir helfe?«, brummt Herbert schließlich.
Tja, was würde ich wissen wollen? Wo anfangen, den Knoten zu lösen? Ich denke an das Gespräch mit Vanessa, an das, was sie mir erzählt hat.
»Diese Unterschlagungssache«, beginne ich. »Ursprünglich wollte Waskovic zwei Personen anzeigen, Thomas Müller und einen gewissen Stefan Salzmann, Buchhalter bei der Waskovic Holz GmbH. Liegt gegen ihn auch eine Anzeige vor?«
Herbert braucht nicht lange nachzudenken. »Soweit ich weiß: nein.«
»Okay. Ich muss wissen, was aus diesem Salzmann geworden ist.«
»Ich werde darüber nachdenken«, verspricht er und schiebt gleich hinterher: »Wir müssen über die Sache reden, Jojo. Aber nicht am Telefon.«
»Ich, weiß, es wäre das Beste, Herbert. Trotzdem kann ich dich nicht einfach irgendwo treffen, es wäre zu gefährlich – auch für dich.«
»Das lass mal meine Sorge sein. Nenn mir einen Treffpunkt, und ich komme hin. Notfalls mit dem Flieger.«
»Herbert, du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir für dieses Angebot bin, aber es geht nicht«, behaupte ich und frage mich unvermittelt: Warum eigentlich nicht? Von Angesicht zu Angesicht könnte ich Herbert die Sachlage besser erklären, und er würde sicher die ein oder andere Idee beisteuern können, wie am besten vorzugehen wäre.
Doch wenn ihn die Sesamstraßen-Gang längst auf dem Schirm hat? Herbert ist mein engster Mitarbeiter, oder er war es zumindest. Gut möglich also, dass sie ihn observieren. Fragt sich, ob Herbert es merken würde. Unter normalen Umständen sicher, aber er ist angeschlagen. Wenn ihn jemand angreift, könnte er sich nicht einmal verteidigen. Nein, ein Treffen mit ihm wäre ein zu großes Risiko – für uns beide.
Außerdem habe ich heute schon eine Verabredung mit der Kaulquappe.
20
Alles, was man im Leben braucht, sind Ignoranz und Selbstvertrauen.
Mark Twain
Die Kaulquappe: Was mag es mit ihrem Brief auf sich haben? Eine Falle? Denkbar, sie hat bisher schließlich schier unerschütterlich zu ihrem Mann gehalten. Aber was wäre damit gewonnen? Wenn sie mich töten wollten, hätten sie es tun können, nachdem ich meinen Auftrag erfüllt und Müller im Altwindecker Dorfteich versenkt habe. Spätestens dann.
Wenn sie entgegen meiner Vermutung dennoch glauben, ich hätte das unterschlagene Geld an mich gebracht, hätten sie mir gleich zu Beginn die Pistole auf die Brust setzen können, ich befände mich nicht auf dieser Tour de Force und sie bräuchten mich nicht irgendwo in der Pampa und nach Einbruch der Dunkelheit in einen Hinterhalt zu locken. Nein, der Treffpunkt sieht ganz danach aus, als habe tatsächlich die Kaulquappe ihn ausgewählt. Weil sie nicht gesehen werden will. Weil sie Angst hat.
Vielleicht besteht aber auch gerade darin das Täuschungsmanöver.
So viele Fragen, die ich nicht beantworten, so viele Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann. Es sei denn, ich springe gleich hier von der Brücke in die Sieg und setze dem Ganzen ein Ende.
Es ist mild geworden, der Frühling nicht mehr aufzuhalten. Ich schaue auf das Wasser hinunter, auf das Gleißen des Lichts auf der sich kräuselnden Oberfläche,
Weitere Kostenlose Bücher