Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
dieser neuen Einsicht beschäftigt. Als sie jedoch in die Nähe des Schuppens kam, bemerkte sie, dass sich etwas verändert hatte. Er sah nicht mehr so aus wie vor ein paar Stunden, als sie und Curtis hier losgegangen waren.
Die Tür stand offen.
Sie schlug sogar im kalten Wind hin und her. Prue dachte angestrengt nach. Sie war sicher, dass sie und Curtis die Tür fest geschlossen hatten, als sie sich auf die Suche nach Esben machten, weil sie Angst hatten, jemand könnte das Loch entdecken. Sie hatten sogar einen Nagel durch den Bügel gesteckt, damit sie zublieb.
Da hörte sie das Geräusch. Es klang wie ein gebrochenes, ungewohntes Schreien – eine verzerrte Stimme, wie bei einem Ferngespräch mit einem alten Telefon. Sie stellte fest, dass es von unten kam.
Als sie den Blick auf ihre Füße richtete, sah sie ein graues Grasbüschel durch ein rostiges Drahtgewirr wachsen. Das Geräusch wurde lauter, der Tonfall eindringlicher.
Prue ging in die Hocke, die Füße rechts und links von dem Grasbüschel. Was ist los? , dachte sie.
LLL.
Sie runzelte die Stirn und konzentrierte sich. Die Grashalme wollten ihr offensichtlich etwas mitteilen – etwas von großer Wichtigkeit. Wie ein Schiff, das eine dichte Nebeldecke durchschneidet, wurde der Wunsch des kleinen Gewächses, zu sprechen, in Prues Kopf immer deutlicher.
LLLLLL!
Was ist denn? , fragte sie erneut. Was möchtest du mir sagen?
Mittlerweile war klar, dass das Gras nach Kräften versuchte, sie anzuschreien.
Und dann platzte es heraus: LAUF!
Prue kippte beinahe hintenüber, so groß war ihre Überraschung. Die Pflanze hatte ein zusammenhängendes, sinnvolles Wort gebildet, dessen Bedeutung so eindeutig war, als wäre es durch ein Megaphon gebrüllt worden. Zum ersten Mal waren diese Geräusche in ihrem Kopf zu einem nachvollziehbaren Gedanken verschmolzen. Das Gras stieß eine Art Seufzen aus, als wäre es erleichtert, dass sie endlich verstanden hatte, was es zu sagen versuchte. Es war so einfach: Jetzt erst begriff Prue, dass es bisher nicht die Pflanzen gewesen waren, denen die nötige Kraft fehlte, unmissverständlich zu kommunizieren. Sie selbst hatte so lange gebraucht, um es zu lernen.
Ich muss hier weg , begriff sie plötzlich.
Langsam entfernte sie sich von dem Grasbüschel, das wieder in Wortlosigkeit verfiel und stattdessen einen klagenden Laut von sich gab. Sie suchte ihre Umgebung nach einem Fluchtweg ab. Ein Tunnel aus zwei schräg liegenden Kotflügeln bot sich an. Doch ehe sie ihn erreichen konnte, trat eine dunkle Gestalt zwischen sie und ihr Ziel.
»Wohin des Wegs, meine Kleine?«, fragte die Gestalt.
Prue erstarrte.
Die Gestalt war pechschwarz und schien leicht zu wabern. Es war jetzt Abend, die Dunkelheit hatte sich überall ausgebreitet. Nur der Schein des Vergnügungsparks hinter dem Müllberg warf einen schwachen Lichtschimmer auf die Szenerie. Entsetzt beobachtete Prue, wie die Gestalt sich vor ihren Augen krümmte und wand.
»Wer ist da?«, rief sie, obwohl sie die Antwort schon kannte.
»Nur deine alte Biologielehrerin, Prue. Deine alte Freundin.« Der dunkle Umriss von Darla Thennis – weder Fuchs noch Mensch – schien zwischen ihren unterschiedlichen Gestalten hin und her zu fließen, wodurch ihre Stimme ein unheimliches Beben erhielt. »Lange nicht gesehen, was? Also, ich bin ja eigentlich nicht nachtragend, aber ihr habt dort in eurem heiß geliebten Räuberlager etwas Schlimmes getan. Etwas ziemlich Schlimmes.«
Prue sah zwei funkelnde Augen, die sie aus der seltsam verzerrten Erscheinung heraus anblickten. »Lass mich einfach gehen«, sagte sie.
Darla lachte kurz auf. »Gehen lassen? Nach dem, was ihr mit Callista gemacht habt? Arme, liebe Callista.« Das Wabern hörte auf, die Gestalt verharrte zwischen ihren beiden Formen und näherte sich langsam. Der blasse Schein eines tief hängenden Mondes, verborgen hinter Wolken, beleuchtete das schauerliche Wesen: Es hatte unbestreitbar die Statur einer Frau – es ging aufrecht, wenn auch etwas vornüber gebeugt –, doch der Kopf sah eindeutig nach Fuchs aus. Zwei Fangzähne ragten über die Unterlippe, schwarzes, vom Regen verfilztes Fell bedeckte den unbekleideten Körper. Es war der scheußlichste Anblick, den Prue jemals erlebt hatte. Angewidert verzog sie das Gesicht.
»Was ist los?«, fragte Darla. »Mache ich dir Angst ?«
Prue ging rückwärts, blieb aber mit dem Stiefelabsatz an einer verbogenen Eisenstange hängen und stürzte auf den Boden.
»Du
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