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Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy , Carson Ellis
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in den Weg.«
    Unthank schluckte nervös. Roger trat unruhig von einem spitzen schwarzen Schuh auf den anderen, ohne den Blick von dem blinden Mann zu lösen. Wigman hingegen wirkte völlig gelassen. Er holte etwas aus der Tasche, das aussah wie ein Handy, klappte es mit dem Daumen auf und drückte einen Knopf. Plötzlich dröhnte ein anhaltendes, schrilles Klingeln durch die Gebäude und Schornsteine der Industriewüste. Alle Kinder hielten sich die Ohren zu, der Lärm war unerträglich.
    Vorher nicht sichtbare Türen öffneten sich inmitten des Gewirrs aus rostigen Rohren und Drähten, und jede spuckte eine Armee von riesigen Kerlen mit braunen Strickmützen aus, deren muskulöse Schultern fast aus ihren grauen Arbeitshemden und Latzhosen platzten. Sie trugen Rohrzangen und Hämmer, Schraubenschlüssel und Stangen. Ihre Kinne waren so ähnlich geformt, dass sie aussahen, als wären sie alle im selben Reagenzglas entstanden. Die bulligen Männer schwärmten aus, und im Nu waren die Kinder umzingelt.
    Immer noch schrillte und schepperte die Glocke, obwohl dem Alarm ja eindeutig längst Folge geleistet worden war, und Wigman musste brüllen, um sie zu übertönen. »Ihr befindet euch im Land der Titanen, Kinder«, verkündete er. »Niemand droht einem Industrietitanen auf seinem eigenen Grund und Boden.«

    Es regnete jetzt stärker. Im Westen schwand der letzte Rest Tageslicht. Bedrückt stapften Prue und Curtis den Abfallberg hinauf, weg vom Zirkus und den Geräuschen seines Abbaus. Ihre Haare waren durchweicht von dem eisigen Regen, und ihre Kleider klebten auf ihrer frierenden Haut fest. Septimus stand auf Curtis ’ Schulter, sein Fell war so nass, dass er einem gebrauchten Waschlappen ähnelte, der zusammengeknüllt auf dem Badezimmerfußboden lag. Prue glaubte nicht, schon jemals so niedergeschlagen gewesen zu sein. Ihr Herz fühlte sich an, als hätte es sich so weit es nur ging in den Brustkorb zurückgezogen, wie eine Katze, die vor einem rachsüchtigen Besitzer zurückweicht. Jeder Schritt um die kaputten Fernseher und zerbrochenen Lattenroste der Müllhalde herum fühlte sich bleischwer an.
    »Wahrscheinlich sollten wir einfach zu den Maulwürfen zurückkehren«, sagte sie. »Ohne Esben. Sie können uns nach Südwald bringen, und dort können wir nach dem anderen Erbauer suchen. Oder?« Über das zu sprechen, was vor ihnen lag, kostete Prue so viel Mühe, wie einen vollen Eimer aus einem tiefen Brunnen hochzuziehen.
    Vielleicht, überlegte sie, war sie trotz der scheinbaren Fehlschläge noch auf dem richtigen Weg. Vielleicht hatte der Ratsbaum diese Hürde vorausgesehen – Esbens Ablehnung, seine Unversöhnlichkeit –, und die Dominosteine des Schicksals würden am Ende weiterhin vorteilhaft für sie fallen. Kismet hatte ihre Mutter solche Dinge früher genannt. Eine Art magischer Ausgleich auf der Welt. Allerdings konnte man nicht wissen, wie lange die Ereignisse sich noch zu ihren Gunsten entwickeln würden, bevor irgendwann einmal doch etwas richtig schiefging. Nein, es war das Beste, einfach weiterzumachen. Zurück nach Südwald. Die Leute aufrütteln. Irgendetwas würde sich hoffentlich ergeben.
    Curtis blieb stumm, weshalb Prue annahm, er hätte sie nicht gehört.
    »Ich meine«, fuhr sie deshalb fort, »wir müssen einfach probieren, ob wir mit einem Erbauer auskommen. Vielleicht reicht ja einer trotz allem, vielleicht könnten wir seine Augen sein. Was meinst du?«
    »Ich gehe nicht.«
    »Was?« Prue blieb wie angewurzelt stehen.
    »Ich sagte, ich gehe nicht.« Curtis stapfte an ihr vorbei. »Tut mir leid. Ich hab einen Eid geleistet. Ich muss zurück ins Lager.«
    »Wovon redest du da, Curtis? Was ist mit dem Baum?«
    Jetzt hielt auch Curtis an, drehte sich um und funkelte sie wütend an. »Der Baum! Der Baum! Immer dieses Gerede von dem Baum!« Seine Stimme bebte. »Ich höre keine Pflanzen sprechen, Prue. Für mich könnte das genauso gut eine Halluzination gewesen sein, die du da hattest. Und bis jetzt hab ich dir den Gefallen getan und mitgemacht. Die Erbauer suchen? Den Erben wiederbeleben? Was heißt das alles überhaupt? Wie soll das jemandem helfen?«
    Prue stiegen Tränen in die Augen. »Das wird es«, stieß sie mühsam hervor. »Es wird helfen, ich weiß es.«
    Septimus schwieg, er beobachtete die beiden nur von seinem Platz auf Curtis ’ Schulter.
    »Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass ich einen Schwur abgelegt habe«, sagte Curtis. »Je länger ich nicht ins Lager zurückgehe,

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