Wildwood - Das Geheimnis unter dem Wald: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
undamenhaften) Bariton.
Der Junge steht da wie ein begossener Pudel. »Aber …«
»Peng«, sagt der Mann in der Kutsche und klopft dem Jungen mit dem Pistolenlauf tadelnd an die Stirn.
Der Junge starrt vor sich hin und kratzt sich an der Schläfe, als spielte er im Geiste die ganze Szene noch einmal durch. Er tritt mit dem Stiefel in den Schnee.
Das Wintertraining für Räuber hat begonnen. Und Curtis ist gerade durch seine erste Prüfung gerasselt.
In einer ganz anderen Welt, wie man glauben könnte, die tatsächlich aber nur wenige Kilometer entfernt lag, starrte Prue aus einem Fenster im ersten Stock in den schweren Schnee, der auf den Rasen der George Middle School fiel und sich dort auflöste. Ein typischer Portlander Winter , dachte sie, der Schnee kommt schon als Matsch runter . Mit jedem fallenden Klümpchen sank ihr Kinn tiefer in die aufgestützten Hände. Auf dem Bürgersteig wich ein Pärchen mit hochgeklappten Mantelkragen vorsichtig den Pfützen aus. Autos, die mit einer schlammig grauen Schneeschicht überzogen waren, ließen Fontänen von Eiswasser aus Schlaglöchern aufspritzen, wenn sie über die nassen Straßen zischten. Es war einfach nur trostlos.
»Prue!«
Die Stimme erklang in Prues Kopf, als riefe jemand aus riesiger Entfernung, wie ein Leuchtturmwärter, der ein Schiff durch einen Sturm lotst. Sie zog es vor, die Stimme nicht zu beachten. Da ertönte sie erneut:
»Prue McKeel!«
Jetzt hörte sie sich lauter an. Etwas näher. Wie ein Showmaster, der den Star auf die Bühne bittet. Ganz langsam hob Prue das Kinn aus der Handfläche.
»Erde an Prue McKeel!« Dieses Mal wurde die Stimme von prustendem Gelächter gefolgt. Das Geräusch holte Prue abrupt in die Gegenwart zurück. Mit einem Ruck fuhr sie hoch und blickte sich im Raum um. Biologie, dritte Stunde. Die gesamte Klasse starrte sie an, zeigte mit dem Finger auf sie und grinste. Prue spürte, wie sie dunkelrot wurde.
»Entschuldigung«, stammelte sie. »Ich war … abgelenkt.«
Darla Thennis, olivfarbene Haut, geblümter Kaftan, stand hinter dem Lehrerpult und fixierte Prue. Sie schob ihre Drahtgestellbrille hoch und strich sich über die rabenschwarzen Haare. Dann brachte sie die Klasse mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Dein Projekt, Prue?«
Die folgenden Bilder blitzten in schneller Abfolge vor Prues geistigem Auge auf: ihre Mutter, die ein Einmachglas aus dem obersten Hängeschrank wühlt; Prue, die ein übrig gebliebenes Stück Baguette in das Glas legt und es auf die Fensterbank stellt; ihr Vater, der an genau diesem Morgen erwähnt, dass er ein Glas mit ekligem, schimmligem Brot in den Müll geworfen hat, und warum um alles in der Welt stehe überhaupt ein Glas Schimmel da herum?
»Mein Vater«, sagte Prue. »Mein Vater hat es weggeschmissen.«
Noch mehr Gekicher um sie herum.
Miss Thennis sah Prue über ihre Brille hinweg an. »Uncool, Prue«, sagte sie. »Extrem uncool.«
»Ich werd’s ihm ausrichten«, entgegnete Prue.
Ihre Lehrerin musterte sie einen Moment, ganz offensichtlich versuchte sie abzuschätzen, ob die Antwort beleidigend gemeint war. Miss Thennis war neu in diesem Quartal – Mrs. Estevez, die frühere Biologielehrerin, hatte überraschend gekündigt, aus gesundheitlichen Gründen. Darla Thennis stammte aus Eugene und bildete sich sichtlich etwas darauf ein, auf Augenhöhe mit den Kindern zu sein. Ständig erinnerte sie die Schüler daran, dass sie Popmusik liebte. Jedes Mal, wenn die Rektorin Mrs. Bream den Raum verließ, machte sie ein seltsames knurrendes Geräusch, und sie spazierte in eine dichte Patschuliwolke gehüllt durch die Gänge. Nun schob sie die Brille wieder auf der Nase hoch und sah sich im Raum um.
»Bethany?«, fragte sie. »Du könntest wohl nicht zufällig dein Projekt zeigen, da Fräulein McKeels Vater es ihr unmöglich gemacht hat, ihres vorzuführen?«
Bethany Bruxton genoss den Augenblick und warf Prue einen herablassenden Blick zu, ehe sie eifrig aufstand. »Gern, Miss Thennis.«
»Bitte«, verbesserte die Lehrerin, »nenn mich Darla.«
Bethany lächelte schüchtern. »Darla.«
»Dann bitte …« Darla Thennis winkte sie zu sich.
Bethany zupfte am Saum ihres schwarzen Rollis und ging nach vorn, wo auf einem langen Tisch diverse Schülerprojekte standen. Sie öffnete die Tür eines von einer Lampe beleuchteten Gewächshauses, holte eine große, üppige Tomatenpflanze heraus und stellte sich damit vor die Klasse.
»In diesem Halbjahr beschäftige ich mich
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