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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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ist es denn?‹ Und sie sagt: ›Wenn ihr jemals ein zweites Kind bekommt, gehört dieses Kind mir.‹«
    Ein eisiger Schauer überlief Prue. Sie starrte ihren Vater an.
    Er spürte ihr Erstaunen, schluckte laut und sprach weiter. »Zu diesem Zeitpunkt, Prue, wussten wir keinen anderen Ausweg. Wir wollten einfach unbedingt ein Kind, verstehst du? Also sagten wir Ja. Da es außerdem sowieso unmöglich schien, noch ein weiteres Kind zu bekommen, hielten wir das für ein gutes Geschäft. Zu unserem Teil der Abmachung würde es wahrscheinlich nie kommen, richtig? Und daraufhin tritt diese Frau, diese seltsame Frau, vor und legt ihre Handfläche auf den Bauch deiner Mutter, und das war es – sie dreht sich um und geht. Wir laufen über die Brücke zurück, und sobald wir den Fuß auf die andere Seite gesetzt haben, verschwindet das Bauwerk hinter uns. Deine Mutter fühlte sich hinterher nicht großartig anders, und wir dachten schon, das Ganze wäre ein ausgeklügelter Schwindel gewesen – bis zu einem Arzttermin ein paar Wochen später, bei dem sich herausstellte, dass deine Mutter tatsächlich schwanger war. Mit dir!«
    Dies hätte eindeutig der herzerwärmende Moment der Erzählung sein sollen, aber dafür hatte Prue keinen Sinn. Sie fühlte sich einfach nur ziemlich durcheinander.
    Ihr Vater nahm diese Reaktion mit einer traurigen Grimasse auf. »Und das war alles. Du kamst auf die Welt. Und es gab keine zwei Menschen, die jemals glücklicher gewesen wären, als deine Mama
und ich. Wir waren hin und weg. Du warst das süßeste Baby, das man sich nur vorstellen konnte. Wir haben ja nicht im Traum damit gerechnet, noch ein zweites Kind zu bekommen – immerhin waren wir durch die Hölle gegangen, um überhaupt eins zu kriegen. Kleinfamilie mit Einzelkind, und basta. Außerdem wurden deine Mutter und ich auch immer älter und wir dachten, es wäre deshalb sowieso unmöglich. Doch dann, aus heiterem Himmel, elf Jahre nach deiner Geburt, wurde deine Mutter wieder schwanger. Völlig überraschend. Tja, und wir hatten geglaubt, es wäre lange genug her und diese Frau von der Brücke hätte die Sache vermutlich vergessen, also haben wir es durchgezogen. Und dann kam Macky.«
    Er schniefte ein wenig mit gesenktem Blick. »Das ist die ganze Geschichte. Wir haben uns das selbst zuzuschreiben«, sagte er. »Die Frau hat sich geholt, was ihr laut Abmachung zustand.«
    In der Küche herrschte Stille. Draußen hatte der Regen aufgehört und eine sanfte Brise rauschte durch die Eiche im Garten.
    »Prue?«, fragte ihr Vater nach einer Weile. »Willst du gar nichts sagen?«
    Da hörte Prue Schritte im Flur. Jetzt stand ihre Mutter in der Küchentür. Leise ging sie zu Prue und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Hallo, meine Kleine«, flüsterte sie. »Es tut uns so leid. Wir machen dir überhaupt keine Vorwürfe; du hättest nichts dagegen tun können. Es war unser Fehler. Unser dummer Fehler.«
    Prues Vater nickte. »Mac hat nie wirklich uns gehört, verstehst
du? So schrecklich das klingt, aber jetzt ist alles klar. Ohne diese Frau, diese Gouverneurswitwe, wären wir nie eine Familie gewesen. Wir hätten dich niemals gehabt.« Damit sah er Prue direkt in die Augen, und Tränen hingen in seinen Wimpern. Er streckte die Arme über den Tisch, ergriff Prues Hände und drückte sie.
    Prue erwiderte seinen Blick starr. Ihre Hände bewegten sich nicht. Die Finger ihrer Mutter bohrten sich in ihre Schultermuskeln. Prues Knöchel pochte schmerzvoll. In ihrem Kopf drehte sich alles.
    »Ich gehe zurück«, sagte sie.
    Ihr Vater riss die Augen auf, seine Mundwinkel sanken nach unten. »Was?«
    Prue schüttelte kurz den Kopf, als wollte sie sich aus einem Traum befreien. »Zurück. Ich gehe zurück.« Mit einer entschlossenen Geste entzog sie ihrem Vater ihre Hände, nahm die schwarze Schachtel vom Tisch, schob die Steine wieder hinein und klappte den Deckel zu. »Die nehme ich mit«, sagte sie. Ihre Mutter ließ die Hände von ihren Schultern sinken, und Prue rutschte mit dem Stuhl zurück. Im Stehen testete sie die Kraft in ihrem Knöchel, und da der Schmerz seit ihrem Unfall deutlich nachgelassen hatte, marschierte sie aus der Küche.
    »Warte!«, rief ihre Mutter endlich, aber Prue schenkte ihr keine Beachtung. Sie war schon auf der Treppe und überlegte im Gehen, was sie noch alles erledigen musste, bevor sie aufbrach.
    »Du darfst nichts überstürzen!«, ertönte die Stimme ihres Vaters von unten. »Überleg dir das gut. Es ist

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