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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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dem Computer angefertigt hatte: Zusammen mit dem Foto von Mac und Prue prangte darauf in großen und jetzt verschmierten Lettern ein flehentlicher Hilferuf.
    Ebenso wie ihre Mutter hatte auch Prues Vater sie fest in die Arme genommen, bis sie ihn wegen der stechenden Schmerzen in ihren Rippen von sich schieben musste. Als er erfuhr, dass sein Sohn immer noch verschwunden war, ließ er sich schwer auf seinen Lesesessel
fallen und stützte den Kopf in die Hände. Prue und ihre Mutter sahen ihn hilflos an. Endlich sprach ihre Mutter.
    »Ich denke, du solltest deinem Vater berichten, was passiert ist.«
    Und das tat Prue. Sie erzählte ihm alles, wie sie es kurz vorher auch ihrer Mutter erzählt hatte. Die Geschehnisse sprudelten geradezu wie eine Fontäne der Traurigkeit aus ihr heraus. Am Ende dieses unglaublichen Monologs sagte sie: »Und jetzt bin ich einfach so müde. So wahnsinnig müde.«
    Ihre Eltern waren beide vollkommen still. Sie warfen einander einen raschen, vielsagenden Blick zu – den Prue in ihrem Zustand nicht deuten konnte –, dann stand ihr Vater auf und sagte: »Komm, wir bringen dich ins Bett. Du bist völlig erschöpft.« Prue drückte ihr Gesicht an die Brust ihres Vaters und spürte, wie seine starken Arme sie hochhoben. Er trug sie nach oben und tröstete sie wie ein kleines Kind. Und noch ehe sie im Bett lag, war sie eingeschlafen.
    Als sie aufwachte, war es dunkel. Ihr Daunenkissen lag weich unter ihrer Wange, der Kokon des Federbetts schmiegte sich eng um ihren Körper. Sie öffnete ein Auge und hob den Kopf, um zu sehen, wie spät es war. Der Wecker zeigte drei Uhr fünfundvierzig an. Sie streckte die Beine heraus, dehnte die müden Sehnen und bemerkte, dass der Breiumschlag um ihren Knöchel entfernt worden war. Stattdessen hatten ihre Eltern eine normale Mullbinde darumgewickelt. Sie drehte sich um und schloss die Augen wieder. Doch dann stellte sie fest, dass sie schrecklichen Durst hatte.

    Also stand sie auf, öffnete leise die Tür und ging in den Flur hinaus. Sie trug jetzt ihren Schlafanzug, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, ihn angezogen zu haben. Vorsichtig mied sie die besonders knarzenden Stufen auf der Treppe, um ihre Eltern nicht zu wecken. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie aufgewühlt sie wohl sein mussten. Sobald Prue allerdings das Erdgeschoss erreicht hatte, entdeckte sie zu ihrer Überraschung, dass in der Küche Licht brannte.
    Prues Vater saß am Tisch. Er hatte die Hand um ein halbvolles Glas Wasser gelegt und starrte eine schwarze Schachtel an, die vor ihm stand, ungefähr so groß wie ein Schmuckkästchen.
    »Hallo Paps«, flüsterte Prue, als ihre Füße den Kork des Küchenfußbodens betraten. Sie blinzelte im Licht der Deckenlampe.
    Ihr Vater schrak zusammen und blickte mit müden, glasigen Augen auf. Man sah deutlich, dass er geweint hatte. »Oh, hallo, meine Süße!« Im ersten Moment sah es so aus, als wollte er Normalität vortäuschen und sich nichts anmerken lassen. Doch die Verzweiflung übermannte ihn schnell wieder. »Ach, mein Schätzchen«, stöhnte er und ließ den Kopf sinken.

    Prue kam näher. »Es tut mir so leid«, sagte sie niedergeschlagen. »So irrsinnig leid. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die ganze Sache ist so verrückt.« Sie zog einen der vier roten Stühle unter dem Tisch hervor und setzte sich. »Ich weiß, dass alles meine Schuld ist. Wenn ich nur besser aufgep …«
    Er fiel ihr ins Wort. »Nein, es ist nicht deine Schuld, mein Liebling. Es ist unsere.«
    Prue schüttelte den Kopf. »Du darfst dir keine Vorwürfe machen, Paps, das ist doch total verrückt!«
    Ihr Vater sah sie mit seinen verschwollenen roten Augen an. »Nein, du verstehst nicht ganz, Prue. Es ist wirklich unsere Schuld, das war es von Anfang an. Wir hätten es wissen müssen.«
    Jetzt war Prues Neugier geweckt. »Hättet … was wissen müssen?« Sie nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas.
    Er rieb sich die Augen und blinzelte. »Wahrscheinlich …«, setzte er an, »ist es besser, wenn du es erfährst. Nach allem, was du durchgemacht hast. Wir hätten es dir längst erzählen sollen, aber es schien nie der richtige Zeitpunkt zu sein.«
    Prue starrte ihn an. »Was denn?«
    »Diese Frau, mit der du gesprochen hast«, sagte ihr Vater langsam. »Diese Gouverneurin. Deine Mutter und ich sind ihr schon mal begegnet.«
    »Wie bitte!?«, rief Prue, woraufhin ein heftiger Schmerz durch ihre geprellte Rippe zuckte.

    Prues Vater nahm beschwichtigend die

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