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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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Hände hoch. »Pst«, sagte er. »Du weckst noch deine Mutter auf. Irgendjemand in diesem Haus muss sich ja ausruhen.«
    »Ihr habt sie gesehen? Alexandra?«, fragte Prue jetzt etwas leiser. »Wann?«
    »Vor langer, langer Zeit. Vor deiner Geburt.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Wir hätten es wissen müssen.« Mit einem tiefen Seufzer sah er Prue an und sprach weiter.
    »Als deine Mutter und ich heirateten, haben wir uns so darauf gefreut, Kinder zu bekommen, eine Familie zu gründen. Wir haben dieses Haus hier gekauft und uns sofort ausgemalt, wer welches Zimmer bekäme – immer mit der Vorstellung, einen Jungen und ein Mädchen zu haben. Bruder und Schwester. Aber wie das eben manchmal so ist, erfüllten sich unsere Hoffnungen nicht. Wir versuchten es wieder und wieder, aber es kam kein Baby. Wir gingen zu Ärzten, Spezialisten, nahmen an ganzheitlichen Programmen und Akupunkturbehandlungen teil. Nichts. Selbst die radikalsten Methoden schienen hoffnungslos für uns – wir konnten einfach keine Kinder bekommen. Deine Mutter war untröstlich. Es war eine sehr traurige Zeit. Wir versuchten, uns an den Gedanken zu gewöhnen, eine kinderlose Familie zu sein, aber es war einfach so … so unmöglich.« Wieder seufzte er.
    »Eines Tages aber waren wir auf dem Bauernmarkt – du weißt schon, in der Innenstadt – und ich besorgte gerade … ich weiß nicht
mehr genau … Steckrüben oder so was, und als ich danach deine Mutter suchte, fand ich sie an einem seltsamen Stand, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, bei einer sehr alten Frau. Die Frau muss schon über achtzig gewesen sein, sie verkaufte kleine Schmuckstücke und merkwürdige Perlen, und hinter ihr stand ein ganzes Regalbrett voller Fläschchen mit komischen Tinkturen darin. Jedenfalls unterhielt sich deine Mutter eingehend mit dieser Frau, und als ich dazukam, sagte deine Mutter zu mir: ›Sie kann uns helfen. Sie kann uns Kinder bekommen lassen.‹ Einfach so. Tja, zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon alles ausprobiert. Ich verlor allmählich die Geduld, aber deiner Mutter bedeutete es so viel, also willigte ich ein. Für wenig Geld verkaufte sie uns diese Schachtel hier.«
    Er hob das schwarze, viereckige Kistchen hoch. Es sah aus, als wäre es aus bemaltem Teakholz; die Scharniere an der Seite zeigen, dass man es aufklappen konnte. Im Inneren hätte bequem ein Baseball Platz gehabt. Prues Vater fuhr fort:
    »Sie trug uns auf, zum Kliff in der Nähe des Zentrums von St. Johns zu gehen, unten wo das Restaurant ist, und, tja, diese Runensteine zu legen.« Nun öffnete er den Deckel der Schachtel und leerte sechs glatte Kiesel auf die Tischplatte. Sie hatten unterschiedliche Farben, und in jeden davon war ein anderes eigenartiges Zeichen eingeritzt.
    »Wenn wir diese Runensteine legten, erklärte sie, würde eine Brücke erscheinen. Aber nicht einfach nur eine Brücke, sondern
der Geist einer Brücke . Das Gespenst eines Bauwerks, das vor langer Zeit dort gestanden hatte. Sobald also diese Brücke sich zeigte, sollten wir genau bis zur Mitte laufen und eine Glocke läuten, dann erschiene eine Frau. Sie sagte, wir würden sie schon erkennen, denn sie sei groß und sehr schön und trage einen Kopfschmuck aus Federn. Na ja, das alles kam uns natürlich wie ein ziemlicher Hokuspokus vor, aber wir waren verzweifelt und kamen zu dem Schluss, dass es einen Versuch wert wäre. Und wenn es nicht funktionieren würde, dann könnten wir hinterher einfach herzhaft über die ganze Sache lachen. Spät am Abend, als die Straßen verlassen waren, gingen wir also zum Kliff und fanden eine kleine Steinplatte, auf die wir die Kiesel legen konnten. Plötzlich zieht dichter Dunst über den Fluss, und eine riesige grüne Brücke – mit dicken Seilen und Türmen – taucht vor uns auf. Ich meine, es war unfassbar. So was hatte ich noch nie gesehen. Wir gehen also bis in die Mitte und da gibt es wirklich eine Glocke, eine kleine, antik aussehende Glocke, die an einem Haken hängt, und wir läuten ein paar Mal. Dann warten wir, warten ziemlich lange. Nur wir beide, mitten auf dieser ›Geisterbrücke‹. Da erscheint urplötzlich eine Gestalt auf der anderen Seite und kommt durch den Dunst auf uns zu. Es ist eine Frau, und sie trägt einen komischen Kopfschmuck.
    Sie stellt sich nicht vor, sondern sagt nur: ›Ihr wollt also ein Kind?‹ Wir nicken, ja. Und sie meint: ›Ich werde euch zu dem Kind verhelfen, aber ihr müsst dazu in etwas einwilligen.‹ Wir sagen:
›Gut, was

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