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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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Sehnsucht nach
Erfüllung ihres Wunsches. Die Hand ihres Vaters hatte ebendiese Lederschnur umfasst; bestimmt hatte er ihre Mutter angesehen, ehe er ein paar Mal den Klöppel gegen die Glocke schlug. In diesem Augenblick war sie überwältigt von Mitgefühl für ihre Eltern, die so viel für ihre beiden Kinder riskiert hatten. Hätte sie an ihrer Stelle das Gleiche getan? Eine plötzliche Kühnheit überkam sie, und Prue drehte kurz das Handgelenk und läutete die Glocke; drei helle Töne erklangen. Sie durchdrangen die weiche, dunstige Luft und hallten von den Bäumen auf der anderen Seite der Brücke wider.
    Ich komme, Hexe , dachte Prue. Ich komme meinen Bruder holen .

DRITTER TEIL

ZWANZIG
Drei Glocken
    A lexandra stand auf dem Podest im Thronsaal und betrachtete die sich windenden Wurzelranken, die von der Decke hingen. Sie schienen im Schein der Feuerschalen zu zittern und zu tänzeln. Um sie herum lärmten die Soldaten: Kisten wurden zugenagelt, Hellebarden und Gewehre auf Karren geladen, Zelte abgebrochen.
    Die Wurzeln sprachen.
    »Wann, oh Königin?«, fragten sie. »Wann werden wir uns nähren?«
    Lächelnd streckte die Gouverneurin ihre schlanke Hand an die Höhlendecke und streichelte die feinen, blassen Wurzelhärchen.

    »Wenn die Zeit gekommen ist«, erwiderte sie. »An der Tagundnachtgleiche. Ihr werdet euren Beistand bekommen. Heute Nacht ziehen wir zum Hain der Ahnen.«
    Die Wurzeln zischten behaglich und erbebten wie ein Heer von hungrigen, leckenden Zungen.
    Klingeling.
    Alexandra ließ die Hand sinken.
    Klingeling.
    Eine heiße Röte befleckte ihre Wangen; die Augenlider schnellten hoch. Auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte.
    Klingeling.
    Stille.
    »Drei Glocken«, sagte die Gouverneurswitwe, dann verzog sie die Lippen zu einem boshaften Lächeln. »Törichtes, törichtes Mädchen.«

    Fasziniert beobachtete Curtis, wie flink die Räuber die lange, klapprige Leiter hinunterkletterten. Er stand unten und beschwerte die Leiter mit einem Fuß, während die Männer einer nach dem anderen die Vorhängeschlösser an ihren Käfigen entriegelten und leichtfüßig über die Sprossen hüpften. Innerhalb weniger lautloser Minuten waren alle vier Räuber auf dem Boden angekommen. Nur Dmitri, der Kojote, war noch eingesperrt. Er saß in seinem Käfig und hatte den anderen den Rücken zugedreht. Die ganze Zeit schon hatten sie mit gedämpften Stimmen auf ihn eingeredet.

    »Komm schon, Mann«, raunte Seamus jetzt. »Denk an deine Familie.«
    Dmitri stellte sich auf die Hinterbeine. »Ach …«, wandte er ein. »Ihr Jungs bleibt ungestraft. Aber ich komme vor ein Kriegsgericht, wenn ich geschnappt werde! Darauf steht mit Sicherheit der Galgen.«
    Cormac trat vor. »Dann lass dich eben nicht schnappen. Du wärst dumm, wenn du hier bleibst. Außerdem werden sie dich wahrscheinlich sowieso aufknüpfen, wegen Beihilfe zur Flucht. Du schlägst ja nicht gerade Alarm.«
    Dmitri dachte kurz darüber nach, zuckte dann die Achseln und sagte: »Ja, da ist natürlich was dran. Also gut: Wirf die Schlüssel rauf.«
    Der Bund flog hoch, das Schloss wurde geöffnet und im Nu stieg Dmitri die Leiter hinab. »Und was jetzt?«, fragte er unten angekommen.
    »Du führst uns nach draußen«, sagte Eamon und strich sich über seinen struppigen schwarzen Bart. »Septimus läuft als Späher voraus. Du kennst dich in diesem Bau aus?«
    »Ziemlich gut«, bestätigte Dmitri, die Schnauze schnüffelnd in die Luft gereckt. »Ich glaube, ich finde mich zurecht.«
    Angus nahm sich die letzte noch brennende Fackel von der Wand – als er sie aus der Halterung zog, erging ein Funkenregen – und rief der Ratte zu: »Machen wir einen Treffpunkt aus.«

    »Das Waffenlager. Es gibt da einen Seitengang, der normalerweise leer ist. Durch den können wir die Hauptkammer umgehen und den Bau über den Hintereingang verlassen«, meldete sich Septimus leise aus seinem Schlupfwinkel in dem uralten Wurzelballen.
    »Aber erst befreien wir den König«, erinnerte Cormac die Gruppe. »Wir gehen nicht ohne Brendan.«
    Alle vier Räuber, selbst der störrische Seamus, nickten energisch.
    »Von mir aus«, sagte Septimus. »Die Verhörkammer ist nicht weit von der Haupthalle. Kennst du den Weg, Dmitri?«
    Der Kojote nickte, und Septimus fuhr fort: »Ich gehe auskundschaften. Wenn’s Ärger gibt, fange ich euch vorher ab.« Und damit verschwand die Ratte in der Wurzel. Die ungleiche Ausreißerschar – ein Kojote, ein Außenweltler und vier Räuber –

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