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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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Flasche Wasser für eine Handvoll Müsliriegel und eine Tüte Studentenfutter, die vom letzten Campingausflug noch übrig war. Daneben lag die Reiseapotheke, und Prue schob die Plastiktüte in ihre Tasche. Dann erregte eine Art Dose mit aufgesetzter trichterförmiger Hupe ihre Aufmerksamkeit; eine Druckluftfanfare. Sie nahm das Ding in die Hand und untersuchte es genauer. Auf dem Etikett prangte ein bedrohlicher Grizzlybär, über dem bogenförmig geschrieben stand: BÄR – HAU – AB. Offenbar sollte die Tröte laut genug sein, um wilde Tiere zu verscheuchen, was in einer undurchdringlichen Wildnis ganz praktisch sein konnte. Also wanderte die Dose ebenfalls
in die Tasche. Prue warf einen letzten Blick in die Küche und schlüpfte dann durch die Hintertür in den Garten. Die Luft war trocken und kalt, und eine leichte Brise raschelte durch die gelben Blätter der Eichen. Leise schob Prue ihr Fahrrad mit dem Anhänger auf die Straße. Weit im Osten war der erste Schimmer der Morgendämmerung zu erkennen, doch die laubbedeckten Bürgersteige wurden immer noch von den Laternen beleuchtet. Erst als sich Prue in sicherer Entfernung vom Haus befand, stieg sie aufs Rad. Der Schal, den ihre Mutter ihr im letzten Winter gestrickt hatte, lag mollig um ihren Hals, als sie in die Pedale trat und in Richtung Süden durch die Straßen und Gassen fuhr. In den Häusern flackerten vereinzelt erste Lichter auf, und man hörte das Brummen von Autos, während die Stadt langsam erwachte.
    Prue nahm denselben Weg wie am Vortag bei ihrer Verfolgungsjagd und schlängelte sich mit dem hüpfenden, klappernden Anhänger durch die Straßen bis zum Kliff. Schwerer Nebel hing über dem Fluss und verdeckte das Wasser. Vom gegenüberliegenden Ufer blitzten die Lichter der Industriewüste durch den Dunst. Ein rätselhaftes schepperndes Geräusch schallte über das breite Flusstal und wurde von der Felswand des Kliffs zurückgeworfen. In Prues Ohren klang es wie das knirschende Uhrwerk eines Riesen. Das Einzige, was über der Wolkenbank sichtbar war, war das imposante Gestänge der Eisenbahnbrücke. Es sah so aus, als würde die Brücke ohne Verankerung auf dem Flussnebel schweben. Prue stieg vom
Fahrrad und schob es in südlicher Richtung am Kliff entlang bis zu einer Stelle, an welcher der Hang etwas weniger steil in die Wolken abfiel. Dort kletterte sie langsam hinunter. Die Welt um sie herum trübte sich weiß.
    Als der Boden unter Prues Füßen schließlich eben wurde, fand sie sich in einer fremdartigen Landschaft wieder. Alles war in einen gespenstischen Schimmer getaucht. Ein schwacher Wind strich durch die Schlucht, und bisweilen waberte der dichte Nebel hin und her und enthüllte die fernen Umrisse vertrockneter, vom Wind zerzauster Bäume. Der Boden war mit abgestorbenem gelbem Gras bedeckt. Unmittelbar hinter einer Baumreihe bildeten die Bahngleise eine gerade Linie von Ost nach West und verschwanden zu beiden Seiten im Dunst. Prue nahm an, dass die Gleise über die Brücke führten und folgte ihnen in Richtung Westen.
    Vor ihr lichtete sich der Nebel etwas, und sie konnte die Türme der Eisenbahnbrücke erkennen. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich auf dem Kies. Sie erstarrte. Dann blickte sie vorsichtig über die Schulter. Doch da war niemand. Kaum hatte sie sich umgedreht und lief weiter, als das Geräusch wieder ertönte.
    »Wer ist da?«, rief sie und spähte hinter sich. Keine Antwort. Die von einer Reihe seltsamer, gedrungener Bäume flankierten Bahngleise verliefen sich im Nichts; keine Spur von einem Verfolger.
    Prue holte tief und zittrig Luft und lief schneller. Da erklang erneut das unverkennbare Geräusch von Schritten, doch dieses Mal
schnellte sie rechtzeitig herum, um eine Gestalt von den Gleisen zwischen zwei Baumstämme springen zu sehen. Ohne nachzudenken warf sie das Fahrrad auf den Boden und rannte hinterher, sodass der Kies unter ihren Schuhen aufspritzte.
    »Stehen bleiben!«, schrie sie. Jetzt konnte sie jemanden erkennen – er war ziemlich klein und trug einen schweren Wintermantel. Eine tief in die Stirn gezogene Zipfelmütze verhüllte sein Gesicht. Als Prue brüllte, sah sich der Fliehende kurz um – und rutschte prompt auf einem Flecken lockerer Erde aus. Mit einem überraschten heiseren Aufschrei knallte er mit der Schulter voraus auf den Boden.
    Prue warf sich auf ihn und riss ihm die Mütze vom Kopf. Sie quiekte erschrocken auf.
    »Curtis!«
    »Hallo Prue«, keuchte Curtis atemlos. Er wand sich

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