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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Meloy
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unter ihr. »Kannst du bitte von mir runtergehen? Dein Knie bohrt sich in meinen Bauch.«
    »Vergiss es.« Allmählich gewann Prue ihre Fassung wieder. »Erst wenn du mir sagst, warum du mir gefolgt bist.«
    Curtis seufzte. »Bin ich nicht! Ehrlich!«
    Prue rammte ihm das Knie noch tiefer zwischen die Rippen, und Curtis stöhnte laut. »Okay! Schon gut!« Seine Stimme bebte, er war den Tränen nah. »Ich war früh auf, konnte einfach nicht mehr schlafen, und da hab ich dich vom Fenster aus zufällig vorbeifahren gesehen und mich gefragt, wo du wohl hinwillst! Gestern Abend
hast du Selbstgespräche über deinen Bruder geführt und dass du ihn holen willst, und als du dann heute so früh aus dem Haus bist, dachte ich mir, dass irgendwas los sein muss. Ich konnte einfach nicht anders!«
    »Was weißt du über meinen Bruder?«, fragte Prue.
    »Nichts!«, schniefte Curtis. »Ich weiß nur, dass er … weg ist.« Er errötete leicht. »Und übrigens weiß ich auch nicht, wem du mit dieser nassen Decke in dem Anhänger was vormachen wolltest.«
    Prue lockerte den Druck auf seine Rippen, und Curtis atmete aus.
    »Du hast mich total erschreckt, ich hab mir beinahe in die Hosen gemacht«, sagte Prue. Sie ließ von Curtis ab, und er setzte sich auf und klopfte sich den Schmutz von seinem Mantel.
    »Entschuldige«, antwortete Curtis. »Es war wirklich keine Absicht, ich war nur neugierig.«
    »Dann lass das gefälligst«, gab Prue zurück. Sie stand auf und ging zu ihrem Fahrrad. »Die Sache hier geht dich nichts an, das ist allein mein Problem.«
    Hektisch kam Curtis auf die Füße. »K-kann ich bitte mitkommen?« , keuchte er hinter ihr her.
    Prue war bereits wieder auf den Gleisen angelangt, hob das Fahrrad auf und ging weiter in Richtung Brücke. »Nein, Curtis«, sagte sie. »Geh nach Hause!« Das Flussufer verlief schräg in einer Art Halbinsel auf den ersten Stützpfeiler zu, und die Gleise folgten
einem sanft ansteigenden Hang bis zum Eisenfachwerk der Brücke. Prue schob ihr Rad zwischen den Gleisen, während sie selbst auf einer Schiene balancierte. Je höher sie stieg, desto besser konnte sie durch den Nebel den ersten Brückenturm erkennen. In diesen von roten Blinklichtern gekrönten Türmen befanden sich die Mechanismen des Seilzugs, durch die der Mittelteil der Brücke hochgezogen werden konnte, um höheren Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Erleichtert stellte Prue fest, dass das momentan nicht der Fall war, sodass sie die Brücke überqueren konnte.
    »Hast du keine Angst, dass ein Zug kommt?«, fragte Curtis hinter ihr.
    »Nein«, antwortete Prue, obwohl sie in Wahrheit auch schon darüber nachgedacht hatte. Zwischen dem Gleis und dem Fachwerk der Brücke war nur ein knapper Meter Platz, und der lose Kies war nicht gerade fußgängerfreundlich. Als sie den mittleren Abschnitt erreichte, sah sie über den Rand der Brücke hinunter und musste schlucken. Der Dunst hing immer noch schwer im Flussbecken und schuf eine undurchdringliche Wolkendecke, unter der das Wasser nicht zu erkennen war. Prue fühlte sich wie auf einer dieser wackeligen Seilbrücken in Peru, die in ungeheurer Höhe über bodenlose Schluchten führten, wie sie aus einem National-Geographic -Heft wusste.
    »Ich mache mir schon ein bisschen Sorgen, dass ein Zug kommen könnte«, gestand Curtis. Er stand mitten auf den Gleisen unter einem der Türme.

    Prue blieb stehen, lehnte das Fahrrad an das Geländer und hob einen Stein vom Kiesbett auf. »Zwing mich nicht dazu, Curtis«, drohte sie.
    »Wozu?«
    Prue warf den Stein, und Curtis machte einen Satz zur Seite, wobei er beinahe über die Schiene stolperte.
    »Warum hast du das gemacht?«, rief er, die Hände schützend an den Kopf gelegt.
    »Weil du so blöd bist und mir nachläufst und ich dir gesagt habe, dass du mich in Ruhe lassen sollst. Darum.« Sie bückte sich und wählte noch einen Stein aus, dieses Mal einen größeren, spitzeren. Als wollte sie sein Gewicht abschätzen, warf sie ihn hoch und fing ihn wieder auf.
    »Ach komm schon, Prue«, sagte Curtis. »Lass mich doch helfen! Ich bin gut im Helfen. Mein Vater war Sippenführer in der Pfadfindergruppe meines Cousins.« Er ließ die Hände sinken. »Ich hab sogar das Jagdmesser von meinem Cousin dabei.« Er klopfte sich auf die Manteltasche und lächelte verlegen.
    Prue warf den zweiten Stein und fluchte, als er vor Curtis vom Boden abprallte und seine Füße um Zentimeter verfehlte. Curtis jaulte auf und hüpfte aus der

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