WILDWORLD - Die Nacht der Wintersonnenwende: Band 1 (German Edition)
kam mit. Langsam und mit starrem Gesichtsausdruck schob sie ihr Fahrrad hinter den anderen her.
» Die Füchsin hat doch davon gesprochen, dass der Zauber, den Morgana gewirkt hat, um das Amulett zu fertigen, irgendwo aufgeschrieben steht«, sagte Alys, als sie wieder im Haus waren – was sie tatsächlich unbemerkt geschafft hatten.
» In einem Grimoire «, stimmte Charles zu. » Was ist eigentlich ein Grimoire?«
Claudia beugte sich ein wenig näher zu Alys heran. » Ist das vielleicht ein großes Buch?«, fragte sie heiser. » Ein dickes, großes Buch auf einem Ständer, mit einer komischen Handschrift darin und einem schwarzen Buchdeckel?«
» Ja, sehr wahrscheinlich«, erwiderte Alys gedankenverloren und wandte sich Charles zu. » Es ist ein Zauberbuch und wir müssen …« Sie brach ab. » Was meinst du damit: ›Ein dickes, großes Buch auf einem Ständer mit einem schwarzen Buchdeckel‹?«, fragte sie Claudia.
» So eins habe ich in einem kleinen Zimmer neben der Küche gefunden«, antwortete Claudia schlicht, » als Charles mich dort hingeschickt hat, um mich vor den Polizisten zu verstecken. Ich wusste nicht, was es war.«
Janie sah Alys entsetzt an. » Du willst doch nicht etwa einfach einen eigenen Zauber zusammenbrauen, oder? Als wäre es ein Rezept für Bananenbrot?«
» Uns bleibt keine andere Wahl. Dafür hast du gesorgt.«
Das Zauberbuch entpuppte sich als das größte Buch, das die Kinder je gesehen hatten. Die Seiten waren aus Pergament und mit filigranen Mustern verziert und die aufgeschlagene Seite war dicht an dicht von einer eleganten, verschlungenen Schrift bedeckt. Das Problem war, dass sie diese Schrift nicht entziffern konnten.
» Latein?«, fragte Alys zweifelnd, sobald sie das Buch mit vereinten Kräften auf den Küchentisch gehievt hatten, wo ein Lampenschirm genügend Licht zum Lesen spendete. Doch die Buchstaben der schön anzusehenden Schrift standen so eng beieinander, dass die einzelnen Worte überhaupt nicht zu unterscheiden waren.
» Warum Latein?«, fragte Charles. » Wenn du was Altes suchst, gibt es auch noch jede Menge anderer Sprachen. Es könnte, ähm, Griechisch oder Babylonisch oder ägyptische Hieroglyphenschrift sein.«
Claudia erschrak. » Du meinst, wir können damit gar nicht zaubern?«
Alle starrten unglücklich auf das Buch.
» Ich sag’s ja wirklich nicht gerne«, stellte Charles fest, » aber diese Buchstaben sehen für mich nicht einmal nach unserem Alphabet aus.«
» Ich weiß«, erwiderte Alys. » Na ja, vielleicht ist es Russisch. Das russische Alphabet ist ein anderes. Kyrillisch oder so, nicht wahr, Janie? Janie?«
Janie hatte die Schrift genauso aufmerksam wie die anderen betrachtet, aber jetzt zuckte sie leicht zusammen und blinzelte. » Kein Kyrillisch«, murmelte sie, stand abrupt auf und trat ans Fenster.
Alys warf ihr einen verzweifelten Blick zu, bevor sie wieder auf die Seite starrte. Für sie sahen die Worte jedenfalls nicht nach Griechisch aus; sie wirkten noch seltsamer, noch fremdartiger und unleserlicher. Und doch hatten sie auch etwas Vertrautes an sich, sodass Alys das Gefühl nicht loswurde, sie durchaus lesen zu können – wenn sie die Worte nur auf die richtige Weise betrachtete.
» Was wir brauchen«, sagte Charles entmutigt, » ist irgendjemand, der Sprachen studiert hat.«
» Hm.« Alys schmerzten die Augen, so angestrengt hatte sie auf die Seite gestarrt. Als sie geistesabwesend den Kopf hob und ihren Bruder blinzelnd ansah, erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. » Was um alles in der Welt hast du mit deinem T-Shirt gemacht?«
» Ich habe es umgedreht. Du hast gesagt …«
» Ich weiß. Aber man kann den Spruch immer noch lesen.«
Charles drückte das Kinn auf seine Brust, um sich selbst davon zu überzeugen. » Ach ja?«
» Ja.« Die schwarzen Buchstaben waren deutlich durch die dünne weiße Baumwolle zu erkennen. » Nur eben rückwärts …« Alys brach ab und ihre Augen weiteten sich. » Rückwärts!« , rief sie plötzlich und beugte sich wieder über die Seite. » Rückwärts!«
» Was?«
» Es ist Englisch! Diese Schrift hier ist Englisch, nur rückwärts !«
» Nicht rückwärts«, warf Janie leise ein und drehte sich um, » sondern spiegelverkehrt.«
Alys starrte sie ungläubig an. Als sie wieder das Wort ergriff, sprach sie ebenso ruhig wie Janie. » Du hast es also gewusst, Janie. Warum hast du es uns nicht gesagt?«
» Weil ich einige sehr ernste Vorbehalte gegenüber dieser ganzen Sache habe«,
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