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Wilhelm II

Wilhelm II

Titel: Wilhelm II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Christopher
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Krieg?
    Kaum war die Krise wegen Albanien allmählich überstanden, da heizte Kanzler Bethmann Hollweg mit einer Rede im Reichstag unbeabsichtigt das politische Klima an. Er warnte, falls Österreich-Ungarn überraschend von Russland angegriffen werde, dann werde Deutschland an der Seite Österreichs kämpfen, und zwar mit der Unterstützung des ganzen deutschen Volkes. Es ist nicht klar, weshalb Bethmann Hollweg einen so provokativen Ton wählte. Was immer er sich gedacht haben mochte, die Rede löste eine Krise in den englisch-deutschen Beziehungen aus. Einen Tag nach der Rede sprach die britische Regierung ihrerseits unvermutet eine Warnung aus. Dem deutschen Botschafter in London Fürst Lichnowsky wurde vom britischen Kriegsminister Richard Haldane mitgeteilt, falls Deutschland wegen der Unterstützung für Österreich-Ungarn in einen Krieg mit Russland und Frankreich hineingezogen werden sollte, so werde Großbritannien an der Seite Frankreichs kämpfen. Erst einige Tage später las Wilhelm einen Bericht von Lichnowsky, der diese Warnung weiterleitete. Die Nachricht löste bei ihm eine Mischung aus Panik und Empörung aus. Er rief sofort eine Gruppe hoher Militärs aus Heer und Marine, darunter Generalstabschef Moltke und die drei Admiräle Tirpitz, Heeringen und Müller um 11 Uhr vormittags zu sich in den Königspalast. Die Bedeutung dieses Treffens wird noch heute heiß diskutiert; es bleibt die wohl umstrittenste Episode der Herrschaft Wilhelms.

    Von dem Treffen am 8. Dezember wurde kein Protokoll angefertigt, aber mehrere Überlieferungen sind erhalten, auch die eines Teilnehmers: des Chefs des Marinekabinetts Admiral Georg Alexander von Müller. Laut dieser Version umriss Wilhelm die Implikationen der Nachricht Lichnowskys und konzentrierte sich dabei auf vier Kernpunkte: a) im Fall eines Kriegs auf dem Kontinent besteht keine Hoffnung auf britische Neutralität; b) deshalb wird Russland im Fall eines Kriegs gegen Serbien nicht allein kämpfen müssen; c) da Großbritannien ebenfalls zu Deutschlands Feinden zählen wird, muss die Kriegsmarine auf die Auseinandersetzung mit der britischen Flotte vorbereitet werden (Tirpitz muss deshalb den Bau der Unterseeboote forcieren); d) der Kaiser teilte die Einschätzung Moltkes, der einen Krieg »für unvermeidbar« hielt, »je eher desto besser. Wir sollten aber durch die Presse besser die Volksthümlichkeit eines Krieges gegen Russland im Sinne der Kaiserl.[ichen] Ausführungen vorbereiten.« 23
    Wie ist diese plötzliche Verhärtung in der Position des Kaisers zu erklären? Wilhelm hatte lange Zeit angenommen, dass Großbritannien neutral bleiben würde, falls das Deutsche Reich in einen Krieg gegen Frankreich und Russland verwickelt würde. Das war wichtig, weil die deutsche Diplomatie dadurch offenbar einen gewissen Spielraum in der serbischen Frage erhielt. Wenn die Briten höchstwahrscheinlich nicht Frankreich beistanden, dann würden auch die Franzosen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit wegen der serbischen Ambitionen in Albanien oder anderswo einen Krieg an der Seite Russlands riskieren. Und das verringerte wiederum die Aussicht auf eine russische Intervention gegen Österreich im Fall eines Konfliktes mit den Serben ganz entscheidend. In den deutschen Kriegsplänen schlug sich diese wahrgenommene Pluralität der militärischen Optionen nieder: Neben dem gegen Westen gerichteten Schlieffen-Plan, der für den Fall eines Zweifrontenkriegs entwickelt worden war, sah die deutsche Planung von 1912 auch die Alternative eines Ostfeldzugs gegen Russland allein vor, falls Russland Österreich angreifen
sollte, ohne dass Frankreich das Zarenreich unterstützte. Und selbst wenn die Franzosen intervenierten, so ging man davon aus, dass es gelingen würde, Großbritannien aus dem Konflikt herauszuhalten. Mit dieser Option im Hinterkopf hatte Wilhelm einen Plan für die Marine vom 3. Dezember 1912 gebilligt, die Aktionen der deutschen Flotte gegen Frankreich so zu begrenzen, dass Großbritannien auf keinen Fall provoziert wurde. 24 Wenn Wilhelm chronisch überempfindlich auf unfreundliche Signale aus Großbritannien reagierte, so lag das nicht zuletzt daran, dass das Königreich in seinen Augen (und da war er nicht allein!) der Dreh- und Angelpunkt des kontinentalen Systems war, dessen Diplomatie einzigartigen und maßgeblichen Einfluss auf das Kräftegleichgewicht hatte.
    Angesichts dieser Sorgen ist es wohl kein Wunder, dass Wilhelm so schockiert auf Haldanes

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