Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
halten! Es wäre für uns alle das Verderben, ginge er hin!« 33
Wenn Wilhelm zu einer besonderen Beförderung in einem Bereich der Verwaltung ausersehen worden wäre, sei es mit oder ohne Rücksprache der Eltern, dann wäre der Kronprinz mit Sicherheit nicht so pikiert gewesen. Aber in den absolutistischen und neo-absolutistischen Regimes des 19. Jahrhunderts in Europa wurde die Diplomatie als die Domäne der eigentlichen Politik angesehen, als die höchste Sphäre der Ausübung souveräner Gewalt und die höchste Tätigkeit des Staates. »Mir sind die auswärtigen Dinge an sich Zweck«, hatte Bismarck 1866 erklärt, »und stehen mir höher als die übrigen.« 34 Dieses subjektive »Primat der Außenpolitik« als die herausragende Berufung der Monarchen und Staatsmänner erklärt nicht zuletzt, weshalb Wilhelms wachsende Beteiligung an der deutschen Politik einen neuralgischen Punkt beim Kronprinzen und seiner Frau berührte. Wilhelm erhob nunmehr Anspruch auf ein Feld, das für die Ambitionen Friedrich Wilhelms als künftigem Monarchen von zentraler Bedeutung war.
Dasselbe Thema sorgte im Herbst und Winter 1886 für weiteren Ärger, als sich abzeichnete, dass Wilhelm, auf Bismarcks Anregung hin, in die Funktionsweise des Auswärtigen Amtes eingeweiht werden sollte. 35 Der Kronprinz erhob schriftlich beim Kanzler Einspruch gegen diesen Schritt und begründete ihn mit der »mangelnden Reife sowie der Unerfahrenheit meines ältesten Sohnes, verbunden mit seinem Hang zur Überhebung wie zur Überschätzung«. Er warnte gar, dass es »geradezu gefährlich« wäre, »ihn jetzt schon mit auswärtigen Fragen in Berührung zu bringen«. Bismarck war anderer Meinung und wies darauf hin, dass Wilhelm inzwischen 27 Jahre alt sei, also älter als Friedrich Wilhelm I. und Friedrich Wilhelm III. bei ihrer Thronbesteigung. Im Folgenden erinnerte er den Kronprinzen daran, dass die Autorität des Vaters in der königlichen Familie in der des Monarchen eingeschlossen sei. 36 Die Neuigkeit von Wilhelms Berufung löste im Dezember 1886 eine Reihe von Diskussionen von bislang nicht gekannter Heftigkeit zwischen Vater und Sohn aus, und es lohnt sich, Wilhelms Version der Episode (in der Überlieferung Herbert von Bismarcks) ausführlich zu zitieren:
Hart, verächtlich und grob sei sein Vater ja immer mit ihm gewesen, sagte der Prinz, so erbittert habe er ihn aber noch kaum je gesehen, er sei ganz graubleich geworden und habe [ihm] mit geballter Faust gedroht, indem er sagte: »das ist ein Streich, der mir gespielt ist und den ich nie vergessen werde: man hat sich an meinen Widerspruch, den ich so scharf ausgesprochen habe, gar nicht gekehrt; man tut, als ob der Kronprinz gar nicht mehr da wäre. Aber ich werde es den Herren im Ausw. [ärtigen] schon eintränken, ich gebe mein Ehrenwort, dass ich dies tun werde, sobald ich auf den Thron komme, und dass es ihnen nicht vergessen sein soll.« 37
Wilhelm verdankte seinen frühen politischen Aufstieg somit zum großen Teil der Eingebung und Unterstützung Bismarcks. Seit dem Jahr 1884 hatte Herbert von Bismarck, angespornt von seinem Vater, die Freundschaft zu Wilhelm mit großer Beharrlichkeit und Servilität gepflegt. Es verwundert deshalb nicht, dass die Kronprinzessin, die dem Kanzler immer schon ablehnend gegenübergestanden hatte, die politische Opposition Wilhelms als »die natürliche Folge von Bismarcks Allmacht« betrachtete. 38 Aber Wilhelm war stets darauf bedacht, seine Unabhängigkeit zu wahren, und alles andere als dauerhaft oder ausschließlich den Bismarcks verpflichtet. Seit Anfang der achtziger Jahre trat eine weitere Persönlichkeit auf die Bühne, die den Bismarcks die politische Loyalität des Prinzen streitig machte.
Alfred Graf von Waldersee, Generalquartiermeister der preußischen Armee und stellvertretender Generalstabschef, hatte sich häufig mit dem Prinzen getroffen, um über militärische Fragen zu diskutieren und hatte ihn bei seiner ersten Russlandreise 1884 begleitet. Ihre Beziehung wurde von Januar 1885 an noch enger, als Wilhelm begann, dem General »delikate Familienverhältnisse« anzuvertrauen, und die verlockende Ankündigung machte, er »rechnete für später auf mich [Waldersee]«. 39 In der Folge wurde er Wilhelms engster Vertrauter und regelte geschickt eine Reihe peinlicher Situationen, die aus den wenigen vor- und außerehelichen Verhältnissen des Prinzen entstanden waren. Ferner unterstützte er ihn bei dem umstrittenen Kreuzzug gegen das
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