Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
für die Mission nicht als eine parteiliche Verpflichtung gedacht gewesen sei. Er versicherte ihm, dass er sich lieber »stückweise ein Glied nach dem anderen für Sie abhauen« ließe, als dem Kanzler irgendwelche »Schwierigkeiten [zu] machen oder Unannehmlichkeiten [zu] bereiten«. 48 In einer Rede vor dem Provinziallandtag von Brandenburg am 8. Februar stellte Wilhelm sich demonstrativ hinter Bismarcks Außenpolitik (der Text wurde sofort an die Presse weitergeleitet). 49 Bismarck hatte diese Schlacht gewonnen, aber die Kraftprobe zwischen dem Kanzler und dem Prinzen schadete der Beziehung zwischen den beiden Männern erheblich. Wilhelm war empört über die Art und Weise, wie Bismarck ihn vor den Augen der Nation an den Pranger gestellt hatte. In seinen Äußerungen über die Zukunft schwang von nun an eine Drohung mit: »Er soll nicht vergessen, dass ich sein Herr sein werde«; »Im Anfang wird es ohne den Kanzler nicht gehen. Aber in Jahr und Tag wird hoffentlich das Deutsche Reich genügend konsolidiert sein, um seine [des Fürsten] Mitwirkung entbehrlich zu machen.« 50
Am 9. März 1888 starb der alte Kaiser. Zu seinen letzten Worten zählte dem Vernehmen nach ein ausdrückliches Lob für seinen Enkel. Er sagte, er sei immer sehr zufrieden mit ihm gewesen, weil er immer alles richtig gemacht habe. 51 Die erste Kommunikation des neuen Kaisers mit seinem Sohn nach dem Tod Wilhelms I. war ein kühl formuliertes Telegramm, das ihn ermahnte, sich der Autorität des Vaters zu unterwerfen. Ungeachtet des schlimmen Gesundheitszustands des neuen Kaisers räumte eine Stellvertreterordre vom 23. März dem neuen Kronprinzen nur minimale Rechte und Zuständigkeitsbereiche ein. In Wirklichkeit blieb Wilhelm jedoch im Zentrum der Aufmerksamkeit und im Brennpunkt der politischen Spekulationen. Kein Einziger in den höchsten Regierungskreisen, nicht einmal die militärische Umgebung des neuen Kaisers war bereit, die Legitimität des neuen Regimes anzuerkennen; es wurde lediglich als vorübergehende Unannehmlichkeit verstanden. »Ich glaube, wir werden im Allgemeinen nur als vorüberhuschende Schatten angesehen, die bald in der Wirklichkeit durch Wilhelms Gestalt ersetzt werden sollen«, schrieb die Kaiserin im März an ihre Mutter. 52 Die Herrschaft Kaiser Friedrichs III., wie er sich nannte, war auf jeden Fall viel zu kurz (99 Tage), und der Herrscher selbst durch seine Krankheit viel zu geschwächt, um eine so massive Umbesetzung des Kabinetts und Neuorientierung der Politik zu ermöglichen, wie die Konservativen sie seit langem schon erwartet und gefürchtet hatten.
Es bestanden immer noch große Meinungsverschiedenheiten zwischen Wilhelm und dem Kanzler, vor allen Dingen in der Außenpolitik. Unter dem Eindruck der von Nervosität geprägten öffentlichen Meinung in Deutschland während der Phase anhaltender Angst vor einem Krieg gegen Russland im Frühjahr und Sommer 1888 schwankte Wilhelm zwischen der Treue zu Bismarck und einer Unterstützung der kriegerischen, antirussischen Ansichten des Grafen Waldersee. 53 Mit dem unvermittelten Wiederaufleben des Battenbergschen Heiratsprojekts im April stand jedoch ein Thema auf der Tagesordnung, in dem sich Wilhelm und der Kanzler einig waren. Bismarck drohte mit Rücktritt, und Wilhelm verlor keine Zeit, dem »Bulgaren« mitzuteilen, falls die Verlobung vollzogen werde, so werde es seine erste Handlung als Kaiser sein, das Paar aus dem Territorium des Reiches zu verbannen.
Die Feindseligkeit zwischen Wilhelm und seiner Mutter Victoria blieb unvermindert bestehen. In den Augen der Kaiserin war sein unablässiger Widerstand gegen die Battenberg-Heirat ein weiterer Beweis – wenn überhaupt noch einer nötig war – für seinen »Hass, Rachsucht und Stolz« und für seinen Wunsch sie »zu vernichten«, indem er aus einer »privaten Familienangelegenheit« eine »cause célèbre« (große Sache) machte. 54 Die Schwäche und die stoische Resignation, die sich nicht selten bei einer schweren Krankheit einstellt, hatten die Kampfeslust Friedrich Wilhelms gelindert. In dem Maße, wie seine Kraft und Neigung, sich mit seinem ältesten Sohn zu streiten, nachließen, wurde er selbst zum Streitgegenstand. Wilhelm hatte sich stets gegen seine Mutter und Sir Morell Mackenzie an die Seite der pessimistischen Mehrheit der behandelnden Ärzte gestellt, die unheilbaren Krebs diagnostiziert und eine Operation gefordert hatten. Da in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Aussichten,
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