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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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Glücksspiel im »Unionsklub« in Berlin. 40
    Der antisemitische, strenggläubige und reaktionäre Generalquartiermeister war die Personifizierung all dessen, was Wilhelms Eltern am stärksten verachteten. Damit war er zugleich ein willkommener Komplize in dessen Bestreben, sich vom Haushalt des Kronprinzen zu distanzieren. Gleichzeitig war Waldersee aber auch eine Gefahr für den Einfluss der Bismarcks auf den Prinzen. Er war außerordentlich ehrgeizig und hatte Gerüchten zufolge sogar das Kanzleramt im Blick. Waldersee bemühte sich nach Kräften, dem Einfluss Herbert von Bismarcks auf das Urteilsvermögen und die Einstellungen des Prinzen entgegenzuwirken, und registrierte aufmerksam die Schwankungen in der Beziehung zwischen Wilhelm und dem Kanzler. 41 Auch Waldersees außenpolitische Ansichten wichen von denen des Kanzlers ab. Anfangs hatte er zwar Bismarcks Außenpolitik mitgetragen, Ende der achtziger Jahre verlor er jedoch das Vertrauen in die Führungsqualitäten des Kanzlers und wurde ein entschiedener Fürsprecher eines Präventivkriegs gegen Russland. 42 Die beiden Männer gerieten in Streit, als Bismarck Waldersee rügte: Der Anlass war eine geringfügige Indiskretion, aber Waldersee nahm zweifellos zu Recht an, dass der eigentliche Streitpunkt das Ringen zwischen ihm und dem Sohn des Kanzlers um den Einfluss auf Wilhelm war. 43
    Zum Ende des Jahres 1887 hin war die Frage, wer Wilhelms Vertrauen genoss, bereits von äußerster Bedeutung. Im März des Jahres war im Kehlkopf des Kronprinzen ein Geschwür entdeckt worden. Die ärztlichen Meinungen zum weiteren Vorgehen waren gespalten: Einige deutsche Ärzte des Kronprinzen vertraten die Meinung, dass es ein Krebsgeschwür sei und so schnell wie möglich durch eine radikale und überaus gefährliche Operation entfernt werden müsse, durch die der Thronerbe mit Sicherheit für immer die Sprache verlieren würde – unter Umständen könnte er dabei sogar sterben. Der Hauptverfechter einer optimistischeren Diagnose war der britische Arzt Sir Morell Mackenzie, ein Vertrauter des Kronprinzen. Nach seiner Auffassung war das Geschwür nicht bösartig und würde von selbst heilen, sofern man Friedrich Wilhelm einen Klimawechsel und eine ausgiebige Ruhephase gewähre. Der Kronprinz entschied sich für die Prognose Mackenzies und verwarf den chirurgischen Eingriff; der Patient wurde zur Erholung in eine Villa in der norditalienischen Küstenstadt San Remo gebracht. Am Hof, unter Regierungsvertretern und in der öffentlichen Meinung fand jedoch die pessimistische Ansicht mehr Anhänger, sobald die Krankheit des Kronprinzen im Mai 1887 allgemein bekannt wurde. Der Kaiser war inzwischen 90 Jahre alt und wurde immer gebrechlicher. Die Aussicht auf Wilhelms Thronfolge, die bislang in weiter Ferne gelegen hatte und somit eher als theoretische Möglichkeit erschienen war, rückte nunmehr in greifbare Nähe. »Gottes Wege sind wunderbar«, schrieb Holstein in sein Tagebuch. »Der eiserne Weg der Weltgeschichte bekommt eine unerwartete Wendung. Prinz Wilhelm vielleicht mit 30 Jahren deutscher Kaiser. Was wird das werden?« 44
    Da alles darauf hindeutete, dass die Herrschaft Kronprinz Friedrich Wilhelms kurz sein würde, selbst wenn er den Tod seines Vaters überleben sollte, war Wilhelm jetzt der Mann der Zukunft und stand im Brennpunkt aller politischen Ambitionen. »Interessant ist es zu sehen«, schrieb Waldersee, »wie bei gewissen klugen Leuten sofort die Wertung des Prinzen Wilhelm sich ändert; schimpften sie gestern noch auf ihn, fanden ihn herzlos, unbedachtsam und ich weiß nicht was alles, so ist er heute ein fester Charakter und für die Zukunft vielversprechend.« 45 Alle noch verbliebenen Zweifel zum Gesundheitszustand Friedrich Wilhelms wurden von einer öffentlichen Bekanntmachung vom 12. November 1887 ausgeräumt, dass der Kronprinz unheilbar an Krebs erkrankt sei. Diese Neuigkeit hatte auf das Umfeld des Hofes eine geradezu elektrisierende Wirkung. Herbert von Bismarck erinnerte sich, dass sich »alle Streber und Kriecher«, die sich bislang gefragt hatten, ob sie mit dem Sohn oder dem Enkel mehr Glück hätten, nunmehr definitiv dem Letzteren zuwandten und »mit unverhehltem Behagen aus vollen Backen pustend, die Segel der hochgradigen, prinzlichen Eitelkeit« blähten. 46
    Die Rivalität um den Einfluss auf Wilhelm hatte mit einem Mal eine ganz neue Qualität. Bismarck konnte unter Umständen alles verlieren; die Zukunft seiner Außenpolitik und sein

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