Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
ebenso sehr an der gespaltenen, politischen Kultur in Deutschland wie an der Unstimmigkeit seiner Persönlichkeit. 7
Ungeachtet des nominellen Oberbefehls wurde der Kaiser von einer aktiven Rolle bei der strategischen oder operativen Planung der deutschen Kriegsanstrengungen ausgeschlossen. Aufgrund seiner Stellung am konstitutionellen Scharnier zwischen militärischen und zivilen Behörden – wie sich bereits in den letzten Vorkriegsjahren in aller Schärfe gezeigt hatte – war jedoch dafür gesorgt, dass er bei einigen der wichtigsten Entscheidungen, die von der deutschen Führung nach Juli 1914 getroffen wurden, eine zentrale Rolle spielte. Viele schwierige Monate lang nahm er Falkenhayn gegen eine sich ausweitende Kampagne in Schutz. Viel klarer als der sonst so weitsichtige Bethmann Hollweg erkannte Wilhelm die Gefahr, die Hindenburg personifizierte. Der Kaiser zählte zu den letzten, die dem Druck stand hielten und sich einem uneingeschränkten U-Bootkrieg entgegenstellten. Die Erklärung desselben stellt die wohl verhängnisvollste Entscheidung des deutschen Oberkommandos dar. Dies alles darf jedoch nicht von dem grundlegenden Versagen des Kaisers ablenken, sich als echte Führungspersönlichkeit auszuzeichnen. Wilhelm nahm eine Position im Herzen der deutschen Verfassung ein – er stand im Brennpunkt des Systems. Diese Position hätte man dazu nutzen können, eine kohärente und zielgerichtete Strategie zu entwickeln. Wilhelms Versagen in dieser Beziehung erklärt nicht zuletzt, weshalb es so lange dauerte, bis das Verhältnis zwischen Ost- und Westfront geklärt wurde, weshalb die Seekriegsund die Heeresleitung so schlecht koordiniert wurden und weshalb es sich als unmöglich erwies, einen nennenswerten Dialog zwischen Diplomatie und Friedensplänen für die Zeit nach dem Krieg auf der einen Seite und der militärischen Strategie auf der anderen herzustellen.
Wilhelm II. beschleunigte dramatisch den Legitimitätsverlust der Monarchie als deutscher, politischer Institution und verlieh dadurch, wenn auch indirekt, der Suche nach einem »Führer aus dem Volk« eine erhöhte Dringlichkeit, nach einem Führer, der durch seinen Erfolg und massenhaften Zuspruch legitimiert wurde. Was die alten, konservativen Eliten betraf, so hemmten die unrühmlichen Umstände von Wilhelms Abschied jede weitere Identifikation mit dem letzten Inhaber des deutschen Throns. Aus dem Monarchismus entwickelte sich deshalb nie ein ideologischer Rahmen, der imstande gewesen wäre, dem Konservatismus nach dem Krieg eine kohärente und solide, politische Plattform zu bieten. Adlige, insbesondere der jüngeren Generation, kehrten dem persönlichen Monarchismus ihrer Väter und Vorväter den Rücken und wandten sich einer diffusen Vorstellung von einem Volkstribun zu, der das Vakuum füllen würde, das durch die Defizite und schließlich die Flucht des Monarchen geschaffen worden war. Ein charakteristischer Ausdruck dieser Sehnsucht findet sich in den Tagebucheinträgen von Andreas Graf von Bernstorff, dem Spross einer alten Familie, die zahlreiche angesehene Diener des preußischen Throns hervorgebracht hatte: »Uns kann nur ein Diktator noch helfen, der mit eisernem Besen zwischen dieses ganze internationale Schmarotzer-Gesindel fährt. Hätten wir doch, wie die Italiener, einen Mussolini!« 8
Die Herrschaft dieses Kaisers wurde aus verschiedenen Formen der Macht gewoben. Wilhelm verfügte über die Mittel, politische Initiativen zu starten – allerdings nicht ihre Umsetzung zu gewährleisten. Er hatte die Vollmacht, viele zentrale Ämter zu besetzen – war aber außerstande, seine Kandidaten zu lenken, sobald sie im Amt waren. Schließlich genoss er das Privileg einer einzigartig prominenten Stellung im öffentlichen Leben – war aber außerstande, die Darstellungen seiner Person zu kontrollieren. Die instabile Beziehung zwischen diesen verschiedenen Machtformen, die sich zum Teil gegenseitig unterminierten, stellte Wilhelm vor Rätsel, welche er nie ganz zu lösen im Stande war. Die gravierendsten Probleme im System – das veraltete, preußische Wahlrecht und die ungeklärte Stellung des Militärs, das teils außerhalb der Verfassung stand – wurden nie in Angriff genommen. Unter diesem Kaiser entwickelte sich das Amt, das die Schaffung einer stärkeren Legislative und die Ausreifung einer dynamischen, politischen Kultur in Europa hätte fördern können, stattdessen zu einem Zerrspiegel, der der Nation vorgehalten wurde, einem
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