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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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die Ziele des Monarchen allen bekannt sind und von seinen Höflingen vorausgeahnt werden können. Aber davon konnte bei Wilhelm II. kaum die Rede sein, weil seine Ziele von einem Moment zum nächsten eine dramatische Kehrtwende machen konnten. Er griff Ideen auf, begeisterte sich für sie, wurde ihrer müde oder verlor den Mut, und ließ sie wieder fallen. In der einen Woche schäumte er vor Wut über den Zaren, in der nächsten schwärmte er in den höchsten Tönen von ihm. Er reagierte heftig auf Beleidigungen oder Provokationen, geriet aber bei einer drohenden echten Auseinandersetzung oder einem Konflikt in Panik. Dies alles heißt keineswegs, dass der Kaiser unbedeutend gewesen wäre. Vielmehr lässt es darauf schließen, dass seine Bedeutung weniger in der Durchsetzung eines autokratischen Willens lag als in dem chronischen Versagen der Führung. Selbst auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik waren seine Einmischungen, so wichtig sie für sich genommen waren, zu spontan und zu kurzfristig, um ein stimmiges Programm zu bilden.
    Weder während der Kanzlerschaft Bülows noch während Bethmann Hollwegs Amtszeit unternahm Wilhelm den Versuch, einen ähnlichen Einfluss auf die Politik zu erlangen, wie er ihn in den neunziger Jahren angestrebt hatte. Es dürfte zu weit gehen, Bernhard von Bülow das Ziel einer dauerhaften Parlamentarisierung der deutschen Politik zu unterstellen, aber er war gewiss nicht das gefügige »Werkzeug« des Herrscherwillens, das durch das Bülowsche Pseudokonzept eines »persönlichen Regiments im guten Sinne« impliziert wurde. Was Wilhelms Interventionen auf dem Feld der Außenpolitik betraf, so beschäftigten sie mit Sicherheit die Männer in der Wilhelmstraße massiv, aber sie waren längst nicht so schädlich, wie häufig behauptet wurde. Auf jeden Fall trugen sie kaum dazu bei, den Kurs der auswärtigen Beziehungen zu gestalten. Dynastische Bande und Korrespondenz nützten in dieser Beziehung wenig. Viel wichtiger war hingegen Wilhelms Anteil an dem raschen Ausbau der deutschen Flotte, doch der Zusammenhang zwischen dem Flottenprogramm und der Verschlechterung der englisch-deutschen Beziehungen sollte nicht überbetont werden. Weder der ziellose Imperialismus deutscher »Weltpolitik«, noch der Bau von Schiffen waren schuld am Ausbruch des Krieges im Jahr 1914.
    Im Kontext der Krise im Vorfeld des Konflikts wirft die Studie ein Licht auf den friedfertigen Charakter der Interventionen Wilhelms in der Balkanfrage. Wilhelm betrachtete den Balkan von 1912 an keineswegs als willkommenen Vorwand für einen Konflikt zwischen den Mittelmächten und einer oder mehrerer Großmächte. Seine Unterstützung für den österreichischen Bündnispartner von 1895 an war auch nicht in einem Sinn bedingungslos, dass sie eine existenzielle Bedrohung für die Unabhängigkeit des deutschen Reiches und den Frieden Europas dargestellt hätte. Und Wilhelms Aktionen vom 5. Juli 1914 (der »Blankoscheck«) kamen keineswegs einer Vorwegnahme der österreichischen Absichten gleich und hatten auch nicht den Zweck, den Ausbruch eines Präventivkrieges zu erleichtern, in dem das Deutsche Reich die relative Abnahme der militärischen Bereitschaft wieder umkehren konnte. Tatsächlich sollten wir vermutlich die Versicherungen ernst nehmen, die Wilhelm schon am 25. Juni 1888 anlässlich der Reichstagseröffnung abgegeben hatte: »In der auswärtigen Politik bin ich entschlossen, Frieden zu halten mit jedermann, so viel an mir liegt. Deutschland bedarf weder neuen Kriegsruhmes noch irgendwelcher Eroberungen, nachdem es sich die Berechtigung, als einige und unabhängige Nation zu bestehen, endgültig erkämpft hat.« 6
    Wilhelms öffentliche Äußerungen projizierten und konsolidierten seine Autorität nicht in der Weise, wie er es sich gewünscht hätte, und trugen stärker als alles andere dazu bei, seinem Ansehen zu schaden. Die Kaiserreden waren in manchen Fällen taktlos und unbesonnen, aber es wäre falsch, die Aufregung um die Reden allein auf die persönlichen Mängel des Kaisers zurückzuführen. Die Vielzahl von Titeln und Funktionen, die der preußisch-deutsche König und Kaiser in einer Personalunion in sich vereinte, brachte es mit sich, dass Wilhelm verschiedene Rollen für eine Palette unterschiedlicher Gruppen besetzte. Dass Wilhelm es nicht schaffte, die sich daraus ergebenden Spannungen aufzulösen, und dass dieses Versagen eine so verheerende Wirkung im öffentlichen Leben des Reiches hatte, lag

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