Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Gefallen an der Demütigung anderer fand und eine »kühle Entfremdung« von seinen Mitmenschen verspürte, als »ermüdend«, »geistesgestört«, als »in Eitelkeit und Selbstüberschätzung strotzender Narr«, als »Vorbote Hitlers«, das »Bindeglied« zwischen dem vornehmen Chauvinismus des Kaiserreiches und dem vernichtenden Hass von Auschwitz, als einen Mann, der »das furchtbarste Übel erblickte und es als das Werk Gottes erklärte« – kurzum: »die Nemesis der Weltgeschichte«. 5
Der spöttische, verunglimpfende, ja sogar verteufelnde Tonfall vieler historiographischer Kommentare zu Wilhelm zählt zu den prägnantesten und auffälligsten Merkmalen auf diesem Gebiet. Man braucht kein Fürsprecher einer Rehabilitierung zu sein, um zu spüren, dass diese Sprache ein wenig überzogen und fehl am Platze ist. Das ist so, als würde Wilhelm zur Symbolfigur für etwas gemacht, das über seine Person hinausreicht und größer ist als er selbst: die Massenzerstörung des Ersten Weltkriegs, die Gräuel des Zweiten, die Katastrophe und Schande einer ganzen Nation. Dieses Buch hat keineswegs die Absicht, den letzten Kaiser zu »rehabilitieren«. Er bleibt, nach meiner Lesart, ein intelligenter Mensch, ausgestattet allerdings mit einem schlechten Urteilsvermögen, der zu taktlosen Ausbrüchen und kurzlebigen Begeisterungen tendierte, eine ängstliche, zur Panik neigende Gestalt, die häufig impulsiv aus einem Gefühl der Schwäche und Bedrohung heraus handelte. Indem seine Äußerungen und Handlungen in den zugehörigen Kontext eingebettet werden, trachtet die Studie danach, Verunglimpfung und Verständnis wieder in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Gesagten ziehen? Wilhelms Auffassung von Macht und ihrer Anwendung war keineswegs das absonderliche Hirngespinst eines gestörten Verstandes. Sie wurde geprägt zum einen von einem familiären Hintergrund, der durch machtpolitische Auseinandersetzungen auf einzigartige Weise erschüttert worden war, und zum anderen von Bismarck, dem Titanen, der Wilhelms politische Erziehung so massiv überschattete.
Aufgrund der spezifischen Unbestimmtheit der deutschen Verfassung war unter besonderen Umständen eine Machtkonzentration in der Hand des Souverän möglich, gleichzeitig wurde aber auch die Machtverteilung gefördert. Ganz allgemein erhellt die Studie den schwer fassbaren Charakter der Regierungsgewalt, die nach Bismarck im Rahmen der deutschen Verfassung ausgeübt wurde, ihr Potenzial, unerwartet die Seiten zu wechseln, insbesondere im Kontext der zentralen Beziehung zwischen dem Kaiser auf der einen und »seinen« Kanzlern und Generälen auf der anderen.
Indem sich Wilhelm von Bismarck trennte, lernte er viele Machtinstrumente einzusetzen, die ihm der Reichsverfassung zufolge zur Verfügung standen, und entwickelte ein rudimentäres, politisches Programm, das die schlichtende soziale und kulturelle Mission des Throns mit den großen Aufgaben und Herausforderungen der nationalen Konsolidierung verknüpfte. Außerhalb der eigentlichen Domäne der Politik assoziierte sich Wilhelm konsequent mit den aktuellsten Errungenschaften der Technik, Wissenschaft und Industrie, umgab sich mit Männern aus diesen Kreisen und half damit, ein neuartiges, elitäres Milieu zu schaffen, in dem sonst voneinander getrennte Gesellschaftsgruppen miteinander in Kontakt kommen konnten. In diesem Sinn hatte er vielleicht doch den Anspruch, ein »Herr der Mitte« zu sein, wie Nicolaus Sombart feststellt.
Doch der Kaiser war trotz vieler tatkräftiger Einmischungen in die Politik außerstande, dieses Programm auf nennenswerte Weise zu realisieren oder seinen Willen auch nur konsequent der Exekutive aufzuzwingen. Selbst die Ernennung von »Günstlingen« auf Schlüsselposten bewirkte nicht unbedingt eine Vermehrung seiner Macht. Das lag zum Teil daran, dass die kaiserlichen »Pöstcheninhaber«, sobald sie einmal ihre Pfründe sicher hatten, dazu neigten, eigene Wege zu gehen. Das grundlegendere Problem war jedoch die völlige Unfähigkeit des Kaisers, ein eigenes konzises politisches Programm zu entwickeln oder durchzuhalten. Die These eines »Königsmechanismus‘«, die Röhl als ausgewogenere Alternative zum »persönlichen Regiment« anregte (ein Begriff, den er von Norbert Elias‘Analyse des absolutistischen Hofes von Ludwig XIV. entlehnte), bleibt somit problematisch, weil sie auf politischer Ebene nur funktionieren kann, wenn
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