Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
wurde von den NS-Behörden erwidert, die weiterhin alles taten, um die Erinnerung an die Monarchie in Deutschland auszulöschen und das Ausstellen von Kaiserbildern und Andenken untersagten. Erst im Herbst 1939, nach der Meldung vom deutschen Sieg über Polen, fing Wilhelm an, sich stärker für das Regime zu interessieren. Er jubelte am 13. Mai 1940 über das Eintreffen der Wehrmachtstruppen bei Doorn und war von dem Sieg über Frankreich gerührt. Da er immer noch auf den Moment seiner Absetzung und des deutschen Zusammenbruchs fixiert war, betrachtete er den Fall Frankreichs als »Rache für 1918«. Da Angehörige seines Gefolges ihm mitteilten, dass Hitler ungehalten über das Versäumnis Wilhelms sei, ihm für seine Erfolge zu gratulieren, schickte er jetzt ein Telegramm und lobte den „Führer“für diesen »von Gott geschenkten gewaltigen Sieg«. 94 Dass diese Geste Wilhelms Ansehen bei Hitler nicht gerade verbesserte, versteht sich von selbst. In späteren Jahren bezeichnete Hitler den Exkaiser als eine großtuerische Puppe ohne Charakter. Das gleiche galt, in diesem Fall, auch für Goebbels, der ihn 1940 einen unverbesserlichen Narren, der vermutlich jüdisches Blut in den Adern hatte, nannte. 95
Wilhelm hatte inzwischen seinen 80. Geburtstag hinter sich, und seine Gesundheit ließ allmählich nach. Am Dienstag, dem 4. Juni 1941, starb er an Herzversagen. Hitler hatte beabsichtigt, den Leichnam zu einer Bestattungszeremonie nach Potsdam zu überführen, die dem »Führer« als dem selbsternannten Nachfolger der Kriegsherren preußischer Tradition die Gelegenheit geboten hätte, sich ehrerbietig hinter dem Sarg des letzten Kaisers zu präsentieren. Aber Wilhelm verfügte in seinem letzten Willen, dass der Leichnam Doorn nicht verlassen durfte, bis Deutschland wiederum eine Monarchie würde. Die Nationalsozialisten vereinbarten stattdessen, eine kleine Delegation zu der Bestattung nach Doorn zu entsenden. Die Feierlichkeiten verliefen am 9. Juni 1941 ruhig, trotz einiger Verzögerungen durch einen britischen Luftangriff.
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Schluss
»Ich bin dafür, den Kaiser zu hängen«, verkündete der Labour-Abgeordnete George Barnes auf einer Wahlkampfveranstaltung im November 1918 in Netherton. 1 Am Ende des Ersten Weltkriegs war Wilhelm II. der Gegenstand eines regelrechten Massenhasses. Die Plakate der alliierten Kriegspropaganda stellten ihn als bestialisches, blutrünstiges Monstrum dar, das sich über die Körper vergewaltigter, belgischer Frauen beugt oder wie ein Affe vor brennenden Bibliotheken auf und ab hüpft und sich über die Zerstörung der Zivilisation freut. Gelehrte Traktate mit einer wahren Fülle von Fußnoten wurden gedruckt, um der gebildeteren Öffentlichkeit zu beweisen, dass der Kaiser die Hauptschuld an den Gräueltaten trug, die Europa seit 1914 heimgesucht hatten. »Letzten Endes«, hieß es in einer dieser Studien im Jahr 1917, »ist der deutsche Kaiser […] der verantwortliche Urheber des Unheils, das die Welt bedrückt«; eine andere sprach von seiner »vollständigen und unmittelbaren Verantwortung« für die Katastrophe von 1914-1918. 2 Da wundert es nicht, dass so viele in den Ruf einstimmten, diesen »Feind der menschlichen Rasse« zu hängen. 3
Selbst im Deutschen Reich, dem Reich, dass Wilhelm II. 30 Jahre lang regiert hatte, folgte auf seinen Sturz eine wahre Flut von Verunglimpfungen. Der letzte deutsche Kaiser wurde als »Psychopath« bezeichnet, der seine Untertanen in die Katastrophe geführt hatte. Die eigennützigen Memoiren bekannter Persönlichkeiten, die unter ihm gedient hatten, trugen nicht dazu bei, dieses Bild aufzubessern. »Jede neue Publikation macht das Bild dieses Schwächlings, Feiglings, brutalen Strebers und Bramarbas, dieses Hohlkopfs und Aufschneiders, der Deutschland ins Unglück gestürzt hat, noch abstoßender«, schrieb Harry Graf Kessler im Jahr 1928. »Nicht ein Zug ist an ihm, der Sympathie oder Mitleid erregen könnte; er ist restlos verächtlich.« 4
Fast neun Jahrzehnte nach Kriegsende sind die Emotionen, die solche Urteile bedingten, verblasst, die Unmittelbarkeit der Erfahrung ist vorüber, aber unser Bild von Wilhelm II. bleibt dennoch überwiegend negativ. Jüngste Studien seiner Herrschaft charakterisieren ihn als »abscheulichen Herrscher« mit einer »inkohärenten, narzisstischen Persönlichkeit«, sprechen ihm einen »gestörten Geisteszustand« zu, bezeichnen ihn als einen »verletzenden« und »sadistischen« Klotz, der
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