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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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unterstellen, um den Charakter der Verbindung oder ihre politische Bedeutung zu erklären. Eulenburg beherrschte ganz einfach meisterhaft die Kunst, Freundschaften zu knüpfen, und war ein überaus geschickter Höfling. Seine Briefe kombinierten findig das Frivole mit dem Politischen, Speichelleckerei und Liebesbekundungen mit zarter, aber ernster Kritik. Mit ihrer gekünstelten Informalität lenkten Eulenburgs Briefe fortwährend die Aufmerksamkeit auf die persönliche, unmittelbare Natur ihrer Beziehung: »Ich leide wirklich darunter, Ew. Majestät immer wieder mit diplomatischen Schnallenschuhen zu nahen, statt mit der Büchse im Arm oder mit einem Liederheft in der Hand.« 72
    Eulenburg erkannte instinktiv, wie er bis zu einem gewissen Grad gegen die Regeln verstoßen durfte, um die Intimität zwischen sich und dem Kaiser zu vertiefen. Ein charakteristischer Brief aus dem Februar 1894 enthielt Skizzen aus dem Leben am bayerischen Hof in der Faschingszeit: Ballgäste mit Bäuchen und schweißtriefenden Gesichtern, bei einer »Ehren-Française« »flogen die Busen« der älteren Damen, die Gräfin Oster-Sacken, deren »Unterlippe hing fast bis an die Broche [sic!] – die Ordenssterne klapperten, als trabten Kürassiere, und in langen Strähnen hingen die nassen Haare über die Stirne«. 73 Ein anderer Brief schildert detailliert eine Militärparade in München, deren Verlauf durch die vergeblichen Bemühungen zweier Bullen, sich direkt vor den Kronprinzessinnen gegenseitig zu besteigen, gestört wurde. Diese Briefe sind Meisterstücke des kontrollierten Regelverstoßes: so unanständig, dass sie amüsieren, ohne zu verletzen, und gepfeffert mit einer Portion Frauenfeindlichkeit. Den Schreiber ebenso wie den Leser versetzten sie in einen privilegierten, geradezu konspirativen Raum, der über dem lächerlichen Gekasper und eitlen Getue der Höfe stand. Da ist es kein Wunder, dass Eulenburg einen Posten am Hof mit der Begründung ablehnte, seine Beziehung zum Kaiser könne besser über Briefe als über den täglichen, persönlichen Kontakt gepflegt werden.
    In Wirklichkeit war Eulenburgs Zuneigung zum Kaiser, so aufrichtig sie war, nie völlig unbefleckt von dem Ehrgeiz gewesen, Einfluss zu nehmen. Bereits im August 1886 berichtete Eulenburg Herbert von Bismarck, dass er fünf Tage mit Prinz Wilhelm in München verbracht habe: »Ich habe, fußend auf das Vertrauen, das er mir schenkt, die Zeit dazu genutzt, um gegen seine englischen Antipathien zu kämpfen.« 74 Eulenburg stand Wilhelm während des Machtkampfes gegen Bismarck mit Rat und Tat zur Seite; nach dem Sturz des Kanzlers entpuppte er sich, anfangs gemeinsam mit Holstein, später mit Bernhard von Bülow, als Drahtzieher hinter den Kulissen mit einem beispiellosen Einfluss, der dem Kaiser Informationen zukommen ließ, Kandidaten für hohe Ämter empfahl und den Monarchen durch politische Krisen steuerte. Eulenburg schlug seinen engen Freund Bernhard von Bülow zunächst für das Amt des Staatssekretärs der auswärtigen Angelegenheiten und später für das Kanzleramt vor. Wie wir noch sehen werden, war es außerdem Philipp Eulenburg, der Wilhelm in dem heftigen Streit mit seinen Ministern um die Reform der Militärjustiz 1895 leitete. Eulenburg war laut John Röhl kein Geringerer als der Architekt des »persönlichen Regiments im guten Sinn« durch den Kaiser nach 1897. 75
    Die Bedeutung dieser Ratschläge für den Souverän lässt sich nicht leugnen. Aber wir sollten uns vor Augen führen, dass die Beziehung zwischen Wilhelm und seinen Helfern hinter den Kulissen ein wichtiges Element der Abhängigkeit enthielt. Wie Carl Schmitt beobachtet hat, hat die Machtverteilung unter dem Souverän und seinem Berater stets zwei Seiten: Wer die Macht hat, braucht Ratschlag, und wer Rat erteilt, hat zugleich Teil an der Macht. 76 Die politische Arbeit Eulenburgs und seiner Mitarbeiter ist hierfür ein Musterbeispiel, weil sie die Initiativen des Kaisers ebenso häufig lenkten und zügelten, wie sie diese forcierten. 77 Im September 1890 beispielsweise überredete Eulenburg den vor Wut schäumenden Wilhelm, bei der Wahl Max Forckenbecks zum Bürgermeister von Berlin nachzugeben. Hier und da musste Eulenburg den Kaiser auch wegen seines taktlosen Auftretens in der Öffentlichkeit tadeln – eine Aufgabe, der er sich mit erstaunlicher Begeisterung und Offenheit widmete. Von Fall zu Fall konnte sich die Beziehung zu Eulenburg auch dahingehend auswirken, dass die

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