Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
Kanzlerschaft komme einer »institutionalisierten, persönlichen Herrschaft« gleich, erfordert eine Einschränkung. Noch vor seiner Ernennung zum Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten gab es unverkennbare Anzeichen, dass Bülow, sobald er an der Macht war, dem Monarchen nicht nur um den Bart gehen, sondern ihn auch lenken und sogar manipulieren würde. In einem Kommentar zum Konflikt um das Militärstrafrecht 1895 stellte Bülow fest, dass die Regierungsangelegenheiten nicht reibungslos ablaufen konnten, wenn der Kaiser »Grund zur Annahme« hatte, dass das Ministerium ihn in eine Zwangslage hineinmanövrieren will. »Das Ministerium soll auch nicht Allüren eines parlamentarischen Kabinetts affichieren, es muss überhaupt nicht zuviel von Ministerium und Gouvernement im Gegensatz zum Kaiser die Rede sein. Seine Majestät muss das Gefühl bekommen, dass Hohenlohe sein Vertreter im Ministerium und nötigenfalls selbst gegen die Ministermehrheit ist.« 7 Das eigentlich Erstaunliche an diesen Bemerkungen ist die – womöglich unbewusste – Hervorhebung von Eindrücken und äußerem Schein. Vor allen Dingen ging es darum, dem Monarchen einzureden, dass er weiterhin persönlich die Regierungsgeschäfte leitete. In einem Brief an Eulenburg um dieselbe Zeit hob Bülow hervor, dass es wegen der Reizbarkeit und Willensstärke Wilhelms erforderlich sei, ihn an direkten Eingriffen in die Außenpolitik zu hindern: »Mein durch und durch monarchisch gerichteter Sinn wie meine persönliche Liebe und Dankbarkeit für unseren Allergnädigsten Herrn machen mich nicht blind gegen die Gefahren, welche grade das Ursprüngliche und Mächtige Seiner Individualität in sich bergen.« 8
Bis zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Außensekretär hatte sich Bülows kritische Haltung gegenüber dem Souverän verfestigt. In privaten Notizen vom April 1897 beobachtete er, dass Wilhelms Mangel an Mäßigung und die Unfähigkeit, die Grenzen seines eigenen Wissens und Könnens zu erkennen, ihn zu einer politischen »Gefahr« machten, mit dem Ergebnis, dass die Bevölkerung in den Ministern die einzige Abwehr gegen »Eskapaden von oben« sah. 9 In einem Brief an Eulenburg vom 22. August 1897 wies Bülow darauf hin, dass Wilhelm »als Mensch« zwar »reizend, rührend, hinreißend, zum Anbeten« sei, »als Regent [aber] durch Temperament, Mangel an Nuancierung und zuweilen auch an Augenmaß, Überwiegen des ›Willens‹ […] über die ruhig-nüchterne Überlegung […] von schwersten Gefahren bedroht [sei], wenn Er nicht von klugen und namentlich von ganz treuen und sicheren Dienern umgeben ist«. 10 Es war eine für Bülow charakteristische Diagnose, in der das Bestreben, den Monarchen zu binden und sich selbst in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen, nur schlecht durch eine diensteifrige und ehrerbietige Sprache verhüllt wurde. In seinen Äußerungen gegenüber gleichgesinnten Gesprächspartnern wie dem Diplomaten Anton von Monts drückte sich Bülow längst nicht so zweideutig aus. Er sagte zu ihm, »er sehe seine Aufgabe darin, Deutschland über das Regime Wilhelms II. hinwegzuhelfen«. Einstweilen sei es zu diesem Zweck erforderlich, »die großen, aus der Individualität dieses Herrschers erwachsenden Gefahren möglichst zu paralysieren«. 11
Folglich ist es auch nicht verwunderlich, dass der 51-jährige Bülow, als er an die Macht gelangte, weitgehend seine eigene Agenda durchsetzen konnte. Noch vor seiner Ernennung zum Kanzler streckte er bereits ohne ausdrückliche Autorisierung seine Fühler zu den Führern des Zentrums aus und ließ sie wissen, dass er für eine Aufhebung des Jesuitengesetzes plädiere – ein Schritt, den Wilhelm (obwohl er Anfang der neunziger Jahre selbst mit dem Gedanken gespielt hatte) immer noch ablehnte. Nach dem Amtsantritt setzte Bülow die Ernennung seines früheren Stellvertreters und Faktotums Baron Oswald von Richthofen zum Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten durch; Wilhelm war zwar nicht gerade begeistert, fügte sich aber. Freilich behielt Bülow auch charakteristische Eigenarten eines Höflings bei: Er erkannte, wie wichtig es war, das persönliche Vertrauen Wilhelms zu haben, und pflegte eifrigen Umgang mit dem Kaiser. Er suchte demonstrativ seinen Rat, lobte seine Gedanken in den Himmel und diente als Sprachrohr für die Pläne des Monarchen. Ein Zeitgenosse erinnerte sich, dass er die beiden Männer einmal bei einem zweistündigen Spaziergang im Park des Königspalastes
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