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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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Zentrums« maßlos ärgerte, deren Führer er für »völlig intransigent und wirklich päpstlicher als der Papst« hielt. 18 Aber im Winter 1900 sprach sich Bülow für eine Gesetzesvorlage des Zentrums aus, welche einige Beschränkungen der katholischen Religionsausübungen in den Bundesstaaten wieder aufhob. Die Vorlage wurde vom Bundesrat verworfen, aber Bülow griff zu der ungewöhnlichen Maßnahme, dass er zu der Lesung der amtlichen Ablehnung durch den Bundesrat eine eigene öffentliche Stellungnahme hinzufügte, in der er erklärte, dass er persönlich mit der Intention der Vorlage sympathisiere. 19 Die Geste wurde von der Reichstagsfraktion des Zentrums sehr begrüßt.
    Ein weit umstritteneres Zugeständnis an die Interessen des Zentrums folgte im Februar 1903, als Bülow einseitig ankündigte, dass er seinen Einfluss auf die preußische Delegation im Bundesrat geltend machen würde, um die Aufhebung von Paragraf 2 des Jesuitengesetzes zu erreichen – das wohl wichtigste Überbleibsel aus der Kulturkampf-Ära. Dieser Vorschlag, für den mehr als ein Jahr Überzeugungsarbeit nötig war, bis er von dem widerspenstigen Bundesrat angenommen wurde, löste Proteste seitens der liberalen Presse aus, festigte aber, zumindest kurzfristig, die Beziehung des Kanzlers zur Zentrums-Fraktion. Alle diese Schritte spiegelten Bülows Entschlossenheit wider, eine Koalition aus Regierungskräften zu schmieden, welche die schädliche konfessionelle Spaltung in der deutschen Politik überwand. Darüber hinaus zeigte sich darin eine parlamentarische Orientierung, die Bülow eindeutig von seinen beiden Vorläufern unterschied und ihn letztlich in Konflikt mit dem Kaiser bringen musste. Gut informierte Beobachter bemerkten ebenfalls eine signifikante Neuheit am politischen Stil des Kanzlers. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern bemühte Bülow sich gar nicht erst, die Tatsache zu verbergen, dass der Monarch zum Teil die Maßnahmen ablehnte, für die der Kanzler sich stark machte. Der badische Gesandte in Berlin Eugen von Jagemann schloss daraus, dass gerade die Art, wie die Haltung des Souverän erörtert wurde, den stärksten Beweis dafür liefere, dass die Stellung des Kanzlers außerordentlich stark sein müsse. Dieses Vorgehen verstoße nämlich gegen das Prinzip, nach dem die Entscheidungen der Krone nach innen und nach außen von der Regierung übernommen und verteidigt werden. 20
    Wegen Bülows konsequenter Aufsicht über das preußische Ministerium war es Wilhelm so gut wie unmöglich, den Einfluss des Kanzlers und Ministerpräsidenten wie in den Jahren unter Caprivi und Hohenlohe zu untergraben, indem er mit Hilfe eines bestimmten Ministers intrigierte. Der einflussreiche und weitgehend unabhängige Finanzminister Miquel, der sich konsequent gegen Bülows Zugeständnisse an das Zentrum gewehrt hatte, wäre womöglich für diese Rolle in Frage gekommen, aber er wurde zusammen mit dem Handelsminister Ludwig Brefeld und dem Landwirtschaftsminister Ernst Freiherr von Hammerstein-Loxten im Mai 1901 auf Bülows Anregung hin entlassen. 21 Im Nachspiel dieser Entlassungen war man gemeinhin der Ansicht, dass es Bülow besser als seinen beiden Vorgängern gelungen war, ein Ministerium nach seinen eigenen Vorstellungen zusammenzustellen. 22 Nur Admiral Tirpitz unterhielt weiterhin eine relativ eigenständige Beziehung zum Kaiser. 23
    Gewiss war Wilhelm, wie Katharine Lerman gezeigt hat, an der Auswahl der Kandidaten für die wichtigsten Ämter häufig maßgeblich beteiligt, und Bülow musste gelegentlich einen Rückzieher machen. Doch der Kaiser konnte ebenfalls ausgespielt oder überredet werden, seine Meinung zu ändern; und selbst wenn es ihm gelang, den eigenen Lieblingskandidaten auf einen Ministerposten zu befördern, so gab es keine Anzeichen für eine systematische »Pöstchenschieberei«. Die von Wilhelm favorisierten Kandidaten entsprachen der eklektischen Zusammensetzung seines persönlichen Bekanntenkreises, weniger einer konsequenten Vorliebe für Personen mit einer bestimmten politischen Anschauung. Als 1901 etwa die Suche nach einem neuen Finanzminister anstand, war der liberale Industrielle Georg von Siemens der erste Kandidat Wilhelms für den Posten, der aber selbst ablehnte; sein zweiter war der reaktionäre Guido Henckel von Donnersmarck, der ebenfalls ablehnte. Den Posten bekam am Ende der konservative ehemalige Innenminister Georg von Rheinbaben. Jedenfalls bestand keine Garantie, dass ein Günstling des Kaisers,

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