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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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unterschiedlichem Ausmaß – von dem persönlichen Vertrauen des Monarchen abhängig war und auch bereit war, Zeit und Energie darauf zu verwenden, das Vertrauen zurückzugewinnen. Aber die Strategien im Parlament, die Bülow und seine Minister in den Jahren 1900-1906 verfolgten, widersprachen weitgehend dem Kern der bekannten Vorlieben Wilhelms.
    Wilhelm behielt wie gezeigt die Kontrolle über wichtige Ernennungen und war imstande, bei Bedarf diese Macht so einzusetzen, dass er die Pläne des Kanzlers vereitelte. Aber man konnte ihn auch nötigenfalls zurückweisen, und auf jeden Fall war er künftig außerstande, dieses wichtige, verfassungsmäßige Werkzeug in einer Weise zu gebrauchen, die es ihm ermöglichen würde, den Aktionen der Regierung seinen eigenen Stempel aufzudrücken, geschweige denn den großen politischen Entscheidungen der Zeit. Die Ernennung von Günstlingen bewirkte, wenn es dazu kam, im Allgemeinen keinen Machtzuwachs für den Monarchen. Die Rolle des Kaisers bei wichtigen Personalentscheidungen nahm unter Bethmann Hollweg als Kanzler noch weiter ab. Von dem Recht des preußischen Königs, seine Minister in den Kronrat zu rufen und so den Entscheidungsprozess zu beeinflussen (wie in der Auseinandersetzung mit Bismarck), machte er ebenfalls kaum Gebrauch; in den neun Jahren der Amtszeit Bülows trat der Kronrat nur viermal zusammen.
    Schließlich wird schon bei einem flüchtigen Blick auf den Zeitraum von 1900-1914 deutlich, in welchem Ausmaß der Exekutive insgesamt die politische Initiative inzwischen entglitten war. Es waren der Konfrontationskurs des Zentrums und die Verfassungsfragen, die durch die Kolonialkrise von 1904 bis 1907 aufgeworfen worden waren, die Bülow zwangen, eine neue »nationale« Koalition aus parlamentarischen Kräften zu schmieden, nicht die Ermunterungen und bissigen Kommentare Wilhelms von der Seitenlinie. Es geht zu weit zu behaupten, dass Bülow eine umfassende »Parlamentarisierung« des Systems plante, oder auch nur anzudeuten, dass die Bedingungen für eine so radikale Kurskorrektur im Jahr 1909 günstig gewesen wären. 76 Dennoch: Die »Blockpolitik« leitete eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Kanzler und Parlament ein, die den Einfluss des Kaisers auf die Innenpolitik wiederum noch drastischer einschränkte. Bethmann Hollweg verfolgte zwar keinen so provokativen Kurs wie Bülow in den letzten verzweifelten Monaten seiner Kanzlerschaft, aber bei der herrschenden politischen Stimmung im Land sah sich die Regierung außerstande, die politische Agenda zu diktieren. Die innenpolitische Rolle des Kaisers wurde folglich nach und nach auf Interventionen auf jenen Feldern reduziert, in denen sein Amt als Staatsoberhaupt das einzige Bindeglied war, welches das System zusammenhielt, gewissermaßen die Schnittstelle zwischen ziviler und militärischer Befehlsgewalt.

5
     
    Wilhelm II. und die Außenpolitik 1888 – 1911
     

»Der alleinige Herr der deutschen Politik«
     
    Welchen Anteil hatte Wilhelm II. an der deutschen Außenpolitik? Wenn man seinen eigenen Behauptungen Glauben schenkt, dann könnte man meinen, er habe absolut entscheidenden Einfluss gehabt. »Das Auswärtige Amt?«, rief er einmal aus. »Wieso? Ich bin das Auswärtige Amt!« 1 Wie er in einem Brief an den Prince of Wales (den späteren König Edward VII.) schrieb: »Ich bin der alleinige Herr der deutschen Politik und mein Land muss mir folgen, wo immer ich hingehe.« 2 Der glühende Ehrgeiz Wilhelms, in dieser einzigartig prestigeträchtigen Ära der hohen Politik eine Schlüsselrolle zu spielen, ist unbestritten. Bismarck hatte diesen Ehrgeiz Mitte der achtziger Jahre genährt und geschickt genutzt, als er Wilhelm, zur Empörung des damaligen Kronprinzen, eine prominente Rolle bei der Gestaltung der diplomatischen Beziehungen zu Russland angeboten und die Einweisung des jungen Mannes in das Auswärtige Amt forciert hatte. Wie gesagt, schluckte Wilhelm den Köder und suchte mit dem kühnen und unbesonnenen Vorstoß, eine private Hotline zum Zaren einzurichten, den eigenen Vorteil. Gerade in der Sphäre der Außenpolitik bekam Wilhelm einen ersten verführerischen Vorgeschmack auf Einfluss und Anerkennung über den Hof hinaus.
    Wilhelms Ehrgeiz, »Herr« der Außenpolitik seines Landes zu sein, war nach der Thronbesteigung ungebrochen. Er interessierte sich persönlich für die Ernennung von Botschaftern und unterstützte gelegentlich eigene Favoriten gegen den Rat des Kanzlers und des

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