Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
Vom Netzwerk:
von diesem Vorhaben abzubringen, dass die deutsche Öffentlichkeit und ausländische Regierungen ein so übertriebenes Entgegenkommen der Angst des Kaisers vor den Russen zuschreiben würden. 15
    Im Januar 1893 beschloss Wilhelm, wiederum ohne Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt, sich mit dem Zarewitsch (dem künftigen Nikolaus II.), der sich damals in Berlin aufhielt, zu einem Gespräch über außenpolitische Themen zu treffen. Im Laufe der Unterhaltung versicherte Wilhelm Nikolaus der friedfertigen Absichten Deutschlands gegenüber Russland, brachte sein starkes, persönliches Interesse an einem Handelsvertrag zwischen den beiden Ländern zum Ausdruck und überreichte dem Thronfolger ein Dokument, in dem er seine eigenen Gedanken zu den »Zielen des Dreibunds« darlegte. Die Versöhnungsbemühungen hatten nur begrenzten Erfolg. Sie trugen zu einer Verbesserung der deutsch-russischen Handelsbeziehungen bei, konnten aber weder verhindern, dass sich die beiden Staaten immer weiter voneinander entfernten, noch dass sich die militärischen Kontakte zwischen Russland und Frankreich unheilvoll vertieften. Die beiderseitige Annäherung war im Oktober 1893 durch den weithin publik gemachten Besuch des Zaren Alexander III. an Bord eines französischen Kriegsschiffes, das in Kopenhagen vor Anker lag, symbolträchtig dokumentiert worden.
    Das eigentlich Beunruhigende an diesen monarchischen Einmischungen war nicht allein der Umstand, das sie nicht im Vorfeld mit den zuständigen Ministern und Beamten abgestimmt wurden, sondern auch das völlige Fehlen eines klaren, politischen Konzepts. Wilhelm schien zu Schwankungen und plötzlichen Kurswechseln zu neigen. Im Herbst 1896 etwa sprach sich Wilhelm zu einer Zeit, als sich die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland wegen Streitigkeiten um deutsche Interessen in Südafrika dramatisch abgekühlt hatten, kurzfristig dafür aus, eine kontinentale Allianz mit Frankreich und Russland zu bilden, um gemeinsam die kolonialen Besitztümer gegen die Briten zu verteidigen. Um dieselbe Zeit spielte er aber mit dem Gedanken, potenzielle Konfliktherde mit Großbritannien zu beseitigen, indem Deutschland auf alle Kolonien außer Ostafrika verzichtete. Dieser Plan kam dem Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Marschall so weltfremd vor, dass er ihn für einen Bluff und eine verschleierte Bitte um Gelder für die Finanzierung der Flotte hielt. Aber Wilhelm meinte es ernst. Er ging so weit, seine Ansichten dem britischen Botschafter in Berlin Sir Frank Lascelles auseinanderzusetzen, der sie an Premierminister Lord Robert Arthur Salisbury weiterleitete. Schon im Frühjahr 1897 ließ Wilhelm jedoch die Idee wieder fallen und regte an, dass Deutschland enge Beziehungen zu Frankreich knüpfen solle. 16
    Dieser augenscheinlich willkürliche Wechsel der Optionen löste unter den Verantwortlichen für die Planung und Lenkung der deutschen Außenpolitik Bestürzung aus. In einem von Panik erfüllten Brief an Eulenburg stellte Holstein fest, dass dies nunmehr das dritte »auswärtig-politische Programm in sechs Monaten« sei. Eulenburg, der Wilhelm besser kannte, machte sich weniger Sorgen. Es bestehe »ein erheblicher Unterschied«, erwiderte er, »zwischen solchen Bemerkungen und einer ernsten Aktion«. Wilhelms Projekte seien keine »Programme«, versicherte er Holstein, sondern launenhafte »Randbemerkungen« von begrenzter Bedeutung für die Politik. Auch Hohenlohe blieb ganz ruhig: »Es scheint, dass S. M. wieder ein neues Programm empfiehlt […] Ich nehme das aber nicht tragisch, nachdem ich schon so verschiedene Programme habe entstehen und vergehen sehen.« 17
    Dennoch lag es auf der Hand, dass ein derart launenhaftes und unberechenbares Verhalten eine behutsame Aufsicht und eine lenkende Hand für den Monarchen erforderlich machte. Wie gesagt, war dies eine Aufgabe des Kreises aus Freunden und Beratern, der sich nach der Thronbesteigung um Wilhelm gebildet hatte. Insbesondere die Gruppe um Holstein und Eulenburg übernahm mit bemerkenswertem Erfolg die Kontrolle über diplomatische Ernennungen und sorgte dafür, dass ihre Kandidaten als Botschafter nach Konstantinopel, St. Petersburg, Wien und Rom geschickt wurden. Es gelang ihnen sogar den prominentesten Rivalen zu neutralisieren, nämlich den Generalstabschef von Waldersee, der die Außenpolitik der Regierung Caprivi ablehnte und versuchte, die in fremden Botschaften akkreditierten Militärattachés als ein paralleles

Weitere Kostenlose Bücher