Wilhelm Storitz' Geheimnis
Hoffnung Ausdruck, daß sie sich in gleich günstiger Weise vollenden werde. Auch unterließ ich nicht, ihm Empfehlungen an Herrn und Frau Roderich aufzutragen und fügte für Fräulein Myra die Versicherung meiner brüderlichen, herzlichen Zuneigung bei.
Am nächsten Tage, um 8 Uhr morgens, wurden die Taue gelöst, welche die »Dorothea« am Landungsplatze festhielten und wir glitten wieder mit der Strömung südwärts.
Selbstverständlich hatte sich seit der Abreise von Wien bei jeder Station, die angelaufen wurde, im Stande der Passagiere manches geändert. Einige hatten das Schiff in Preßburg, Gran, Raab oder Budapest verlassen, andere hatten sich vor der Abfahrt in eben denselben Städten eingeschifft. Wir waren im ganzen höchstens fünf oder sechs, welche seit dem Verlassen der österreichischen Hauptstadt der »Dorothea« treu geblieben waren, unter ihnen Engländer, welche die Reise bis zum Schwarzen Meere mitmachten.
In Pest wie in den früheren Stationen hatte also die »Dorothea« Zuwachs an Passagieren bekommen. Einer derselben fesselte meine Aufmerksamkeit in höherem Grade als die andern, weil er mir durch sein seltsames Gebaren auffiel.
Er war ein großer, ungefähr fünfunddreißigjähriger Mann und hatte rötlich schimmernde, blonde Haare; sein Gesichtsausdruck war hart, der Blick gebieterisch, im großen und ganzen war er höchst unsympathisch. Sein ganzes Auftreten verriet den hochmütigen, auf alles geringschätzig herabblickenden Menschen. Er wandte sich öfters mit Erkundigungen an das Schiffspersonal, so daß ich seine kalte, unangenehme Stimme hören konnte und den kurzen, verächtlichen Ton, in dem seine Fragen gestellt waren.
Dieser Reisende schien sich mit niemanden anfreunden zu wollen. Das focht mich weiter nicht an, denn ich selbst hatte mich bisher meinen Reisegefährten gegenüber äußerst reserviert verhalten. Der Eigentümer der »Dorothea« war der einzige, an welchen ich einige, die Reise betreffende, notwendige Fragen gestellt hatte.
Bei genauerer Betrachtung dieser neu aufgetauchten Persönlichkeit kam ich zu dem Schlusse, daß er ein Deutscher sein müsse und wahrscheinlich aus Preußen stamme. Das fühlte man heraus, wie man sagt, und alles an ihm trug den Stempel der teutonischen Rasse. Es war ganz unmöglich, ihn mit den braven Ungarn, den so sympathischen Magyaren, wahren Freunden Frankreichs, zu verwechseln.
Seitdem unser Schiff Budapest verlassen hatte, ging es nicht viel schneller vorwärts, als uns die Strömung tragen wollte. Die kaum bemerkbare Brise erwies sich als zu schwach, um der »Dorothea« eine eigene Geschwindigkeit zu verleihen. Daher konnte ich nach Muße die an meinen Blicken vorüberziehende Landschaft in allen Einzelheiten betrachten. Nach dem Verlassen der Doppelstadt näherte sich die »Dorothea« der Csepel-Insel, die den Strom teilt, und steuerte auf den linken Arm zu.
Vielleicht sind meine Leser einigermaßen erstaunt – angenommen, daß dieses Buch Leser findet – über den so ruhigen, fast möchte ich sagen, banalen Verlauf einer Reise, die ich anfangs als »seltsam, außergewöhnlich« gerühmt habe. Ich bitte nur um ein wenig Geduld. Binnen kurzem wird man des Außergewöhnlichen, Seltsamen übergenug haben.
Ich erwähnte soeben, daß wir uns der Csepel-Insel näherten; während die »Dorothea« dieselbe umschiffte, ereignete sich der erste Zwischenfall, der meiner Erinnerung eingeprägt blieb. Ein ganz harmloser Zwischenfall übrigens. Kaum habe ich das Recht, ein so wenig bedeutungsvolles Ereignis »Zwischenfall« zu nennen, das sich zu allem übrigen noch als ein Truggebilde meiner Phantasie erwies, wie ich unmittelbar nachher zu beweisen imstande war. – Was immer es gewesen sei – es trug sich folgendermaßen zu.
Ich stand zu dieser Zeit im rückwärtigen Teile des Schiffes neben meinem kleinen Koffer, auf dessen Deckel ein Papier befestigt war, aus dem jedermann meinen vollen Namen, Charakter und Adresse ersehen konnte. Ich lehnte an der Schiffsverkleidung und ließ meine Blicke in seligem Nichtstun über die Pußta schweifen, die sich südlich von Pest ausbreitet und ich gestehe, ich dachte an gar nichts.
Plötzlich bemächtigte sich meiner das dunkle Gefühl, jemand stünde hinter mir.
Wir kennen aus Erfahrung das dumpfe Unbehagen, das wir empfinden, wenn wir ohne unser Wissen von jemanden beobachtet werden, von dessen Gegenwart wir keine Ahnung haben. Es ist dies ein schlecht oder gar nicht erklärtes Phänomen und
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