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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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war die Ursache in dem heftigen Blutergusse zu suchen, der eine Folge der schweren Verwundung war. Das kam mir jetzt wie eine Erleuchtung. Gleichzeitig wurde es mir zur Gewißheit, daß die geheimnisvolle Substanz von dem Blute festgehalten werden müsse und daß sie mit dem ausströmenden Blute seinen Körper verlassen hatte.
    Sobald diese Hypothese anerkannt war, ließ sich die Folgerung leicht ableiten. Was der Säbelhieb Haralans getan hatte, das konnte auch dem Messer des Arztes gelingen. Es handelte sich nur um eine ganz leichte Operation, die man so oft wiederholen konnte, als die Notwendigkeit es erforderte. Das Blut, das Myra auf diese Weise verlor, wurde bald durch neues Blut ersetzt und schließlich mußte ein Tag kommen, wo ihre Venen keine Tropfen der fluchwürdigen Substanz enthielten, die Markus des Glückes beraubte, sie zu sehen.
    Ich schrieb in diesem Sinne augenblicklich an meinen Bruder. Aber eben als ich meinen Brief abschicken wollte, erhielt ich Nachrichten von ihm, die mich bewogen, die Sendung meines Schreibens zu verzögern. In seinem Briefe teilte mir Markus eine Neuigkeit mit, die für den Augenblick meine Berechnungen unmöglich machte. Er sagte mir in seinem Schreiben, daß er Vaterfreuden entgegensehe. Und man wird mir recht geben, daß Myra zu dieser Zeit auch nicht eines Blutstropfens beraubt werden durfte. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um die schweren Pflichten der Mutterschaft auf sich nehmen zu können.
    Die Geburt meines zukünftigen Neffen – oder meiner Nichte – war mir für die letzten Tage des Monates Mai angekündigt. Der Leser kennt die innige Liebe, die mich mit meinem einzigen Bruder verband. Die angegebene Frist fand mich bei ihm Schon am 15. Mai traf ich in Ragz ein und erwartete das freudige Ereignis mit einer Ungeduld, die kaum geringer war als die des glücklichen Vaters.
    Der 27. Mai war der ersehnte Tag und dieses Datum wird niemals meinem Gedächtnisse entschwinden! Man behauptet, es gäbe heutzutage keine Wunder mehr; aber an diesem Tage geschah ein Wunder, ein Wunder, dessen Glaubwürdigkeit ich beschwören kann. Man hat mich wohl schon erraten. Die Natur selbst half uns, indem sie uns jene Hilfe brachte, die ich von der Kunst erbitten wollte.
    Wie einst Lazarus lebend aus dem Grabe hervorging, so Myra aus dem Schattenreiche und der vor Glück sprachlose Markus sah sie langsam aus dem Nichts hervortreten und konnte sich doppelt als Vater fühlen, da Frau und Kind gleichzeitig dem Lichte geboren wurden; und sie erschien ihm um so schöner, da sie seinen Blicken so lange verborgen geblieben war.
    Seit dieser Zeit haben Markus und Myra keine andere Geschichte wie ich selbst. Während ich mir den Kopf zerbreche, die ideale mathematische Vollkommenheit zu entdecken – die unerreichbar ist, weil die Wissenschaft der Mathematik, wie die Ewigkeit, unendlich ist – verfolgt Markus seine glänzende Laufbahn als berühmter Maler. Er lebt in Paris, zwei Schritte von mir, in einem palastähnlichen Gebäude, in dem Herr und Frau Roderich jedes Jahr zwei Monate mit dem Hauptmann, jetzt Oberst Haralan verbringen. Und jedes Jahr hält sich das glückliche Paar zwei Monate in Ragz auf. Das ist die einzige Zeit, während welcher ich des lieben Geplauders meines Neffen – es war nämlich ein Neffe! – beraubt bin, den ich mit einer Zärtlichkeit ins Herz geschlossen habe, die die Liebe des Onkels und Großvaters in sich vereint. Markus und Myra sind sehr glücklich.
    Gebe der gütige Himmel, daß dieses Glück von langer Dauer sei! Gebe der gütige Himmel, daß niemand die Leiden kennen lerne, die sie dulden mußten, ehe es ihnen zuteil wurde. Gebe der gütige Himmel – und das soll mein letztes Wort sein – daß das fluchwürdige Geheimnis Wilhelm Storitz’ für alle Ewigkeit begraben sei!
     
    Ende .

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