Will Trent 03 - Letzte Worte
die Frank nicht hatte gehen lassen, waren entweder komatös oder blöd. An oberster Stelle der Letzteren stand Ronald Porter, ein Arschloch von einem Mann, der seine Frau so oft geschlagen hatte, bis ihr Gesicht nachgegeben hatte. Frank hatte es geschafft, Ronny so zu bedrängen, dass der Mann den Mund hielt. Frank versuchte, Carl zu drangsalieren, er belog Will Trent, er ließ Beweismittel verschwinden und verzögerte wahrscheinlich überdies die Herausgabe des Mitschnitts des 911er-Anrufs. Und er glaubte, Lena erpressen zu können.
Der alte Mann hatte sich eine Menge aufgeladen.
Lena rieb sich die Augen, um wieder klar zu sehen. Es war heiß und stickig im Zimmer, aber das war nicht das Problem. Sie war ziemlich sicher, dass sie Fieber hatte. Ihre Hand schwitzte trotz der neuen Pflaster, die sie im Erste-Hilfe-Kasten gefunden hatte. Das Fleisch war gerötet und heiß. Von Delia Stephens hatte sie gehört, dass man Brad morgen früh aufwecken würde. Lena wollte gleich als Erstes hinfahren und ihre Verletzung von einer Krankenschwester anschauen lassen. Wahrscheinlich würde sie eine Spritze bekommen und im Gegenzug Fragen beantworten müssen.
Doch heute Abend würden ihr noch schlimmere Fragen gestellt. Sie würde Jared gestehen müssen, was passiert war. Zumindest einen Teil davon. Lena wollte ihn nicht mit der ganzen Wahrheit belasten. Nicht nur ihre Marke zu verlieren, sondern dazu auch noch Jared, das war ein Opfer, zu dem sie nicht bereit war.
Lena wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Die Videobänder, die sie sich in den letzten zwei Stunden angeschaut hatte, waren ermüdend bis todlangweilig. Sie hätte einfach heimfahren sollen, aber Lena empfand Will Trent gegenüber ein merkwürdiges Verantwortungsgefühl. Er hatte aus ihr ein widerwilliges Aschenputtel gemacht. Lena vermutete, dass es bis Mitternacht dauern würde, sich all die Aufnahmen anzusehen, und ungefähr zur selben Zeit würde ihre Marke zu Schrott werden.
Die guten Bilder hatte sie schon ziemlich früh gefunden. Nach der Zeitanzeige war letzte Nacht um dreiundzwanzig sechzehn und zweiundzwanzig Sekunden der Notausgang geöffnet worden.
Aus ihrer Zeit beim Campus-Sicherheitsdienst war Lena mit dem Grundriss der Anlage vertraut. Das Wohnheim, die Cafeteria und die Rückseite der Bibliothek bildeten ein offenes U mit Laderampen in der Mitte. Das College ließ die Studenten diesen Bereich nicht als Abkürzung benutzen, weil vor einigen Jahren ein Junge von einer der Rampen gefallen war und sich sein Bein an drei Stellen gebrochen hatte. Der darauf folgende Prozess war ein harter Schlag gewesen, und man hatte anschließend noch mehr Geld für Xenon-Scheinwerfer ausgegeben, die den Bereich ausleuchteten wie eine Broadway-Bühne.
Die Kamera über dem Notausgang nahm in Farbe auf. Das Licht, das durch die Tür fiel, als sie geöffnet wurde, war xenonblau. Dann schwenkte die Kamera und zeigte die Decke mit einem Keil blauen Lichts, das die Dunkelheit durchschnitt. Die Tür wurde geschlossen, und die Decke wurde dunkel.
Um dreiundzwanzig sechzehn und achtundzwanzig Sekunden betrat eine Gestalt den Gang im ersten Stock. Die Kamera hatte keine Nachtsichtfunktion, aber das Licht aus der offenen Zimmertür definierte den Umriss. Jasons Kleidung war unförmig, so wie es Lena gesehen hatte, als der Junge tot auf seinem Bett lag. Jason schaute sich nervös um. Seine Bewegungen wirkten panisch. Offensichtlich hatte er ein Geräusch gehört, es aber ziemlich schnell als unwichtig abgetan. Um dreiundzwanzig sechzehn und siebenunddreißig Sekunden ging er in sein Zimmer zurück. An dem Lichtstreifen im Flur erkannte Lena, dass er seine Tür einen Spalt offen gelassen hatte.
Der Mörder ließ sich beim Treppensteigen Zeit. Offensichtlich wollte er sichergehen, dass er Jason wirklich überraschte. Erst um Punkt dreiundzwanzig achtzehn schwenkte die Kamera nach oben. Diesmal war der Mörder nicht so geschickt. Lena mutmaßte, dass er auf der Treppe ausgerutscht war. Die Kamera kippte nur leicht nach oben, sodass die Blickrichtung eher schräg als vertikal nach oben war, und Lena spulte hin und her, bis sie in einem Bildausschnitt die Spitze eines hölzernen Baseballschlägers erkannte. Das gerundete Ende war unverkennbar, wirklich verräterisch aber war das Rawlings-Logo. Sie kannte den Schriftzug noch aus ihren Softballtagen.
Um dreiundzwanzig sechsundzwanzig und zwei Sekunden blitzte wieder das Xenonlicht an der Decke im Erdgeschoss auf, als der Notausgang
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