Willenlos
kannte diesen Mann überhaupt nicht.«
Während Karin den Schafskäse würfelte, briet Gerster das Brot von beiden Seiten leicht an. Danach goss er ein wenig Mango-Vinaigrette über den Salat und streute Basilikum und eine Prise Estragon darüber. Karin lief bereits das Wasser im Mund zusammen. Gerster deckte den Tisch, Karin gab die Putenstreifen in die Pfanne. Ihre Augen glitten Ulf Gersters Rücken hinab und verweilten dort einige Sekunden. Sie fühlte sich, als habe man sie hypnotisiert.
»Wasser, Orangensaft?«
Ein kleiner Ruck durchfuhr ihren Körper.
»Wasser, danke.«
Es schmeckte wirklich ausgezeichnet, Karin nahm noch einmal nach. Sie prosteten sich zu. Ihre Augen hafteten aneinander.
»Ihr Mann ist wirklich zu beneiden.«
»Ich bin geschieden.«
Gersters Augen bekamen einen eigenartigen Glanz, so als flackerten Kerzen hinter kleinen hellblauen Pupillen. Wieder spürte sie diese Unsicherheit, sie wurde nervös, ohne einen Grund dafür zu erahnen. Mühsam zwang Karin ihre Gedanken in eine andere Richtung.
»Herr Gerster, kannten
Sie
eigentlich Klaus Dahlmann?«
Das Messer glitt ihm ab, ein Stück Putenfleisch flog in die Tischmitte.
»Entschuldigung. Ja, ich kannte ihn. Ist schon eine Weile her. Damals, als wir noch in Meerbusch gelebt haben.«
»Wie gut kannten Sie ihn?«
»Wird das ein Verhör?«, lachte Gerster.
»Nein. Aber ich bin dienstlich hier, schon vergessen?«
Gerster verzog das Gesicht, als wäre zu viel Essig in der Vinaigrette.
»Ehrlich gesagt, nicht gut. War mir auch lieber. Es gab mal einen Streit während des Schützenfestes, wir hatten uns geprügelt. Ich weiß überhaupt nicht mehr, worum es damals ging, ist schon mindestens zwölf Jahre her. Im gleichen Jahr sind wir hierher gezogen. Ich habe ihn nie wieder gesehen.«
Karin hatte längst wieder ihren dienstlichen Gesichtsausdruck angenommen. Sie überlegte, ob dieser Sachverhalt von Relevanz für die Ermittlung sein könnte.
»Kommt das öfter vor, dass Sie sich prügeln?«
»Nein, es war das erste und letzte Mal nach der Schulzeit. Ich meine die Zeit als Schüler«, schob er grinsend hinterher. »Ich würde mich gerne von Ihnen festnehmen lassen, aber mit mehr kann ich leider nicht dienen. Prost.«
Gläser klirrten aneinander. Wieder dieser leuchtende Blick. Eine verführerische Mischung aus Sehnsucht und Melancholie. Sie konnte nicht ausweichen. Langsam glitt seine Hand über den Tisch, der ihren entgegen.
9
Um 17 Uhr kam Karin ins Büro. Joshua hatte die Ermittlungsakten abgelegt, wollte den Arbeitstag beenden. Sie tauschten ihre Eindrücke aus. Joshua zeigte ihr Hornbachs ›Tanktabelle‹, in dem Augenblick betrat Dienststellenleiter Jack Holsten das Zimmer. Holsten war nach langer Krankheit erst wenige Wochen wieder im Dienst.
»Und«, begrüßte er Karin und Joshua, »sind die leisen Zweifel des Herrn Staatsanwalt begründet?«
»Kann sein«, antwortete Joshua, »auf den ersten Blick scheint der Fall glasklar, ich kann die Jungs vom KK 11 verstehen.«
»Aber?«
Joshua klärte den Freund und Kollegen in knappen Sätzen über den Fall auf. Jack hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich in die Akten einzulesen.
»Die Beweise scheinen eindeutig, was spricht dagegen?«
Jack sah sie verwundert an.
»Hornbach selbst«, fuhr Karin fort, »der Glaube an die Unschuld dringt ihm aus den Poren. Du müsstest ihn kennenlernen. Das ist ein stinknormaler Beamter der Schulbehörde. Das genaue Gegenteil eines eiskalten Killers. Man darf ihn nicht anschreien, sonst macht der sich in die Hose.«
»Hm«, Jack kratzte nachdenklich sein Kinn, »Tötung im Affekt kommt nicht infrage?«
»Nach den Ergebnissen der KT nicht«, Joshua deutete auf den Aktenstapel vor ihm, »der Täter hat dem Opfer in einem Gebüsch aufgelauert, den Kopf nach hinten gezogen und die Kehle durchgeschnitten, glatter Mord.«
»Weil Hornbach euch wie ein verängstigtes Häufchen Elend gegenübersitzt, kommen euch Zweifel?«
Joshua berichtete von Hornbachs Wunsch, biologische Spuren heranzuziehen.
»Das ist in der Tat reichlich bescheuert. Die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe, Fußspuren am Tatort, die Zeugin am Parkplatz, das Foto von ihm in der Tankstelle«, zählte Jack auf und hob bei jedem Indiz einen Finger mehr, »hört sich stark an, könnte in einem Indizienprozess aber dennoch knapp werden. Der muss ziemlich sicher sein.«
»Ja, da ist aber noch etwas«, Joshua reichte Jack Hornbachs Tanktabelle, »Hornbach hatte den
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