Willenlos
schließlich Ulf Gersters Schwiegermutter an den Apparat, kurz darauf deren Tochter. Renate Gerster wollte noch nach Düsseldorf fahren, eine Freundin besuchen. Sie verabredeten sich für 19 Uhr in ›Bims Marktwirtschaft‹, einem Bistro in der Nähe der Altstadt.
Karin hatte in der Wohnung Gersters ein Bild von ihr gesehen, erkannte sie sofort. Die brünette, schlanke Frau begrüßte Karin misstrauisch. Sie trug übergroße Ohrringe und eine Kette mit glänzenden Perlen. Die Kellnerin brachte einen Milchkaffee an den Tisch, Karin bestellte einen Espresso. Sie hatte Frau Gerster am Telefon lediglich mitgeteilt, dass sie im Fall Hornbach ermittelte.
»Ich fürchte, ich werde Ihnen keine große Hilfe sein«, begann Renate Gerster ungefragt, »mein Mann kennt Udo besser. Ich mag ihn nicht sehr.«
»Warum nicht?«
Frau Gerster verzog den Mund.
»Udo ist so schrecklich konservativ, richtig altmodisch, aber das wird Ulf Ihnen bereits erzählt haben.«
Ulf? Warum nannte sie ihren Mann ihr gegenüber beim Vornamen? Wusste sie Bescheid? Karin zog es vor, nicht danach zu fragen. Sie war aus einem anderen Grund hier. Ulf Gerster prügelte sich einmal in seinem Leben und wusste nicht mehr warum. Die Antwort darauf quälte Karin seit Stunden. Gleichzeitig hatte sie Angst davor.
»Kannten Sie Klaus Dahlmann?«
Frau Gerster seufzte, lehnte sich nach hinten und sah ihr einige Sekunden stumm in die Augen.
»Was hat mein Mann Ihnen denn erzählt?«
Karin wunderte sich über diese Antwort.
»Das darf ich Ihnen nicht sagen«, bluffte die Ermittlerin.
»Gut. Dann werde ich auch nichts dazu sagen«, antwortete sie schnippisch.
»Frau Gerster, das ist kein Spielchen. Wir ermitteln in einem Mordfall. Ich kann Sie auch vorladen lassen.«
Renate Gerster lachte höhnisch. Karin spürte aufkommende Ungeduld.
»Noch sind wir verheiratet. Ich glaube kaum, dass ich eine Aussage machen muss, die meinen Mann belasten könnte.«
Der Satz traf sie wie eine Pfeilspitze. Karins Anspannung wuchs. Verdammt noch mal, rede. Es geht auch um mich.
»Ihr Mann hat sich mit Klaus Dahlmann geprügelt, er kann sich nicht daran erinnern, aus welchem Grund.«
Renate Gerster musste plötzlich lachen.
»Das hat er gesagt?«
Ihr Lachen wurde lauter. Es fuhr Karin direkt in den Magen. Sie bemühte sich um Konzentration, versuchte, gelassen zu bleiben. Die fragliche Prügelei lag eine Ewigkeit zurück, dürfte den Fall wohl kaum noch tangieren. Ulfs Worte fielen ihr ein. Er gab an, sie seien kurze Zeit später umgezogen.
»Stand diese Prügelei in irgendeinem Zusammenhang mit dem Umzug kurz darauf?«
Karin bemerkte ein angedeutetes Nicken. Nur unscheinbar unterstützt durch einen zustimmenden Blick. Ein leichtes Zucken durchfuhr Renate Gersters schlanken Körper.
»Fragen Sie ihn besser selbst. Ich möchte mich nicht in die Nesseln setzen.«
Im Auto klammerte Karin die Hände ans Lenkrad, drückte die Arme durch, schloss die Augen und atmete in tiefen Zügen. Als sie das Bistro verließ, ärgerte Karin sich über die vergebliche Fahrt. Mittlerweile gestand sie sich ein, dass es sich um Wunschdenken gehandelt hatte. Renate Gerster hatte ihren Mann nicht entlastet. Im Gegenteil, die unausgesprochenen Worte weckten Verdacht.
Ulf Gerster ging nicht ans Telefon. Aus Angst vor einer schlaflosen Nacht fuhr sie zu ihm. Minutenlang klingelte sie, obwohl ihr aus den Fenstern nur Dunkelheit entgegenschlug. Karin fuhr nach Hause.
11
Joshua träumte von einem kalten Waschlappen, der ihm unentwegt über die Wangen strich. Mittendrin meldete sich eine unverschämt fröhliche Stimme und prophezeite euphorisch den schönsten Tag des Frühlings. Schwerfällig öffnete er die Augen und sah in ein faltiges Gesicht. Zwei weit geöffnete, dunkelbraune Augen starrten ihn erwartungsfroh an.
»Jagger! Hast du schon wieder die Tür aufgemacht?«
Erneut schoss die feuchte Zunge hervor, Joshua konnte das Gesicht im letzten Augenblick zur Seite drehen. Der Boxerrüde hörte den Radiowecker bis in die Küche im Erdgeschoss. Er reagierte mittlerweile sofort auf dieses Geräusch. Beim ersten Ton war er wach und rannte die Treppe hoch.
»Kannst du ihm das nicht mal abgewöhnen?«, murmelte Janine im Halbschlaf. Joshua hob ratlos die Schultern, zog Shirt und Kurztight an. Mit elastischem Hüftschwung beobachtete Jagger ihn dabei.
Erste Sonnenstrahlen verfingen sich im Blattwerk der Birke. Joshua bog in den Feldweg ab, Jagger rannte über Wiesen und
Weitere Kostenlose Bücher