Willenlos
vorsichtig die Revisionsstifte zurück.
Ein leises Knacken, sanfter Druck, die Tür öffnete sich. Ihr Herzschlag kam ihr so laut vor, dass ihn die gesamte Nachbarschaft hören könnte. Was war wichtiger, Vertrauen oder Selbstschutz? Karin schaltete die Taschenlampe ein und schlich durch die Wohnung. Eine Freundschaft, schön und zerbrechlich wie eine antike chinesische Vase und du schwingst den Hammer, vernahm sie die Stimme des Gewissens. Sie hatte sich nichts anmerken lassen, als Joshua den Namen des ermordeten Zahnarztes ausgesprochen hatte. Die Erinnerung drang ihr wie ein Blitzschlag ins Hirn. Es war an einem Abend in der vorigen Woche, als sie ihre Termine besser aufeinander abstimmen wollten. Sie hatten auf der Couch gesessen und bei einem ausgesprochen schmackhaften Bordeaux Ulfs Terminkalender durchblättert. Als Ulf zwischendurch aufgestanden war, fiel ein Stapel loser Zettel aus dem Buch. Darauf waren Telefonnummern, Adressen und Vermerke notiert, die nicht auf ein Jahr beschränkt waren. Karin hatte sie eingesammelt. Auf einem der Zettel befand sich unter der Telefonnummer der Volkshochschule Meerbusch der Vermerk:
›Dr. Rieger, Angelegenheit beenden!‹
Karin hatte sich Sorgen gemacht. Ulf wollte nicht darüber reden, behauptete, es sei nicht so wichtig. Sie hatte nicht locker gelassen, bis er sie leicht gekränkt darum bat, das Thema zu wechseln, da es ihm peinliche wäre. Den Streit mit Dahlmann hatte sie als einen dummen Zufall abgehakt, aber Rieger …
An einen weiteren Zufall wollte sie nicht glauben, Karin bekam Magenkrämpfe vor Angst. Sie schlug den Deckel des Terminplaners auf, las den obersten Zettel. Es war keine Telefonnummer oder Adresse angegeben. Sie drehte sich im Wohnzimmer um, suchte nach Anhaltspunkten. In den Schrankschubladen fand sie nur unbedeutenden Krimskrams. Im Obergeschoss neben dem Schlafzimmer befand sich ein kleines Büro.
Die Treppenstufen gaben leichtes Knarren von sich. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Der Schein der Taschenlampe tänzelte durchs Zimmer, huschte über kleine Schränke, Regale und Stühle. An der Wand unterhalb der Dachschräge befand sich der Schreibtisch. Karin zog das Rollo des Dachfensters herunter und schaltete den PC ein. Während das Betriebssystem hochfuhr, suchte sie in den Schubladen des Schreibtisches. Sie wurde immer hektischer, zog eine Schublade ganz heraus und stellte sie auf die Tischplatte. 19.10 Uhr. Bis 21 Uhr dauerte der Volkshochschulkurs, den Ulf nebenher gab.
»Ruhig, Karin«, murmelte sie, »gleich findest du die Visitenkarte eines Rechtsanwaltes Dr. Rieger aus Moers, alles wird gut«, ihre Nerven hatten die Ermittlerin vollends im Griff, sie bemerkte nicht das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels aus dem Erdgeschoss. Der Computer war betriebsbereit, hastig zog sie die Maus herüber. Im fahlen Licht der Taschenlampe hatte sie nicht viel sehen können, die Schublade ausgerechnet auf das Mauskabel gestellt. Durch den Ruck fiel der kleine Holzkasten polternd herunter. Lauter werdende Schrittgeräusche gingen in dem Lärm unter. Halb unter den Schreibtisch gebeugt sammelte sie den Inhalt der Schublade ein, während sich in ihrem Rücken langsam die Zimmertür öffnete. Den letzten Schritt hörte sie deutlich, spürte ihr Herz, das für eine Sekunde aussetzte. Sie schoss blitzartig herum, stand auf und sah mit vor Schreck geweiteten Augen in Ulfs Gesicht. Das Licht der Taschenlampe spiegelte sich auf der Klinge des langen Tranchiermessers in seiner Hand.
20
»Also, Bonsai, was sagen wir dazu?«
Oskar Zimmer strich sich über die wie Streichhölzer emporstehenden grauen Haare. An der Pinnwand hinter ihm hafteten Tatortfotos aus dem Baerler Wald. Auf einem der Bilder war der lange Schnitt am Hals in Nahaufnahme abgelichtet. Wachmanns Augen waren auf den Kaffeefilter gerichtet. Gespannt beobachtete er das versiegende Rinnsal am Grund. Einige Sekunden später entfernte er den Filteraufsatz und füllte die Tasse. Zimmer trommelte mit den Fingern den River-Kwai-Marschauf die Tischplatte, für ihn ein Zeichen höchster Ungeduld.
»Ich denke, wir können zufrieden sein.«
Wachmann setzte sich mit der randvollen Tasse in der Hand vorsichtig hin.
»Zufrieden? Die Tatwaffe mit Fingerprints und Fußspuren, wahrscheinlich von irgendeinem Allerweltsmodell.«
»Eben nicht«, Wachmann kramte einen Zettel hervor, »bei den Schuhen handelt es sich um Mokassins der Marke Prada, Modell Business.«
»Alle Achtung,
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