Willenlos
Bornmeier sich damit zufriedengeben würde?
»100 Prozent erreichen wir nie«, beruhigte da Vinci ihn, »dazu gibt es zu viele Dinge, die das Ergebnis beeinflussen können, wie zum Beispiel Schattenwurf, gerade bei Schwarz-Weiß-Aufnahmen wie dieser ein Problem. Ich vermute aber, dass es sich um dieselbe Person handelt.«
»Du vermutest?«
»Mehr kann ich bei der Qualität nicht bieten.«
Bornmeier zog sein Jackett über, als Joshua das Büro des Staatsanwaltes betrat. Nach flüchtigem Gruß hielt Joshua ihm die Kopien von Daniel hin.
»Es geht um die Person im Hintergrund«, klärte er Bornmeier auf, »wir müssen den Mann schnellstmöglich zur Fahndung ausschreiben.«
Der Staatsanwalt setzte sich und begutachtete nachdenklich die Bilder. Währenddessen berichtete Joshua ihm von da Vincis Ergebnis. Bornmeier schüttelte den Kopf.
»Ist das alles, Trempe?«, locker aus dem Handgelenk warf er die Kopien über den Schreibtisch. Joshua ballte die Fäuste vor Wut. Die Zusammenhänge waren aus seiner Sicht glasklar, er konnte sich die Reaktion des Staatsanwaltes nicht erklären.
»Herr Bornmeier, in beiden Fällen haben sich die Tatverdächtigen wenige Minuten nach der Tat fotografieren lassen. Thalbach parkte das Fahrzeug sogar mitten in der Fußgängerzone vor einem Geldautomaten. Das ist doch mehr als offensichtlich, kein Mensch würde unmittelbar nach einem Mord derart vorgehen. Dazu der identische Tathergang, Tatwaffen, die in beiden Fällen voller Fingerabdrücke gefunden wurden. Das stinkt doch zum Himmel.«
Joshua war unangemessen laut geworden, Bornmeier zeigte sich weiterhin unbeeindruckt.
»Das mag ja alles zutreffen, bleibt allerdings nichts weiter als Vermutung. Ich gestehe, gewisse Ungereimtheiten sind da. Es ist aber durchaus nicht verboten, sich in einer Fußgängerzone oder einer Tankstelle aufzuhalten. Haben Sie schon mal was vom Persönlichkeitsrecht und dessen Schutz gehört? Vermutlich nicht. Denn sonst wüssten Sie, dass ich die Öffentlichkeitsfahndung nur bei dringendem Tatverdacht zulassen darf. Diesen sehe ich nicht allein dadurch gegeben, dass die Person auf einem Foto mit einem Tatverdächtigen beziehungsweise
verurteilten
Mörder abgelichtet wurde. Trempe, falls Sie sich irren, stelle ich einen vermutlich unbescholtenenBürger als mutmaßlichen Schwerverbrecher an den öffentlichen Pranger. Haben Sie eine leise Ahnung, was das bedeuten würde?«
Joshua fuhr mit einem Satz hoch, der Stuhl kippte nach hinten weg.
»Klar, kann man besser Ermittlungen behindern und Unschuldige lebenslang einsperren. Wie sollen wir unsere Arbeit erledigen, wenn Sie uns Steine in den Weg legen? Zum …«
»Mäßigen Sie sich, Trempe«, schrie Bornmeier dazwischen, »ich lasse mir von Ihnen nicht unterstellen, Ermittlungen zu behindern. Noch ein Wort und Ihr Verhalten wird disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Und jetzt raus aus meinem Büro!«
Joshua schlug wütend die schwere Eichentür hinter sich ins Schloss. Ihm kam der Gedanke, hinzuschmeißen. Die Akten zurückzuschicken und in den gewöhnlichen Alltag einzutauchen. Zum ersten Mal gab es einen vielversprechenden Ansatz und Bornmeier machte ihn mit einem Satz zunichte. Immerhin, dachte Joshua, hatte Bornmeier Ungereimtheiten erkannt. Er forderte nicht, die Ermittlungen sofort einzustellen, womit Joshua gerechnet hatte. Ein unschuldig zum Mord verurteilter Hornbach dürfte sich negativ auf das Image des Staatsanwaltes auswirken. Ein kleiner Trumpf, den Bornmeier fürchtete und der sie weiter im Spiel hielt.
19
Karin war sich des Risikos bewusst, haderte, kämpfte mit ihrem Gewissen. Der Einsatz war hoch, es ging um den einen Traum, den sie längst ausgeträumt glaubte. Die eine große Liebe, die zweite Chance.
Karin zog das kleine Pickset aus der Hosentasche. In Größe und Form ähnelte es einem Schweizer Offiziersmesser. Vorsichtig führte sie den Spanner in den Zylinder, zog die Rändelschraube fest. Ihre Hände zitterten leicht. Die Beziehung zu Ulf war noch jung, aber bereits sehr intensiv.
Sie verfügte nicht über viel Erfahrung mit dieser Art des Türöffnens, hatte lediglich Joshua hin und wieder zugesehen. Offiziell trug sie das Besteck nur bei sich, falls bei Gefahr im Verzuge eingeschritten werden musste. Sie war bereits bei ihrem dritten Versuch angelangt, achtete gespannt auf jedes kleine Geräusch. Während sie mit dem rechten Blättchen die Federn entspannte, schob sie mit dem anderen
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