Willenlos
haben.«
Ihre Stimme nahm einen provokanten Unterton an. Der Schein sprach eine andere Sprache, wusste Karin. Dieses Verbrechen ging über die brutale Vorgehensweise einer Vergewaltigung weit hinaus. Mit den Bildern, die den Anschein der Freiwilligkeit suggerierten, erfuhr die von tiefen Einschnitten malträtierte Seele des Opfers eine weitere, kaum auszuhaltende Demütigung.
»Ich denke, dir ist das abscheulichste Verbrechen widerfahren, das man sich vorstellen kann. Leider bist du kein Einzelfall. Was, so makaber es klingen mag, ein Vorteil ist: Die Justiz ist sensibilisiert, diese Bilder können zum Beweismittel für dich werden. Ich bin froh, dass du so stark bist. Wir werden es denen ganz furchtbar heimzahlen.«
Lisa entfloh ein winziger Ausdruck von Fröhlichkeit. Im selben Augenblick schluckte sie ihn herunter, als schäme sie sich dafür.
»Ich bin nicht stark.«
»Doch, das bist du. Vielleicht weißt du es nur noch nicht.«
Lisa zuckte die Schultern.
»Da fällt mir ein, ich gehe heute Abend mit meiner Tochter ins Kino. Hast du Lust mitzukommen? So ein munterer Frauenabend wird dich ablenken, wirst sehen.«
»Ich weiß nicht …«
»Ich hole dich ab. Ist dir halb acht recht? Ich freue mich schon drauf. Endlich mal nicht an die Arbeit denken.«
»Ähem … na gut.«
Im Innenspiegel erkannte Karin einen feinen Schweißfilm auf ihrer Stirn. Sie wählte die heimische Nummer, Ulf ging an den Apparat. Nach einem kurzen Wortwechsel fragte sie nach Carmen.
»Wenn du ruhig bist, kannst du ihre Musik hören. Büffelt sie immer bei so einem Krach?«
»Ja, das hat sie von mir.«
Während Ulf nach oben lief, fiel Karin das Verhör mit Bartram ein. Die Antwort auf die Frage, ob er den Mörder kenne, fuhr ihr in den Magen.
›Ich bin sicher, das finden Sie heraus, Frau Seitz. Auch wenn es Ihren Glauben erschüttern wird‹
Sie fragte sich, wie wohl ihre Reaktion wenige Tage zuvor ausgefallen wäre, in der Zeit, als sie Ulf fälschlicherweise verdächtigte. Mit leichtem Schauer dachte sie daran, dass sie vermutlich ihr Glück sofort unwiederbringlich weggeworfen hätte.
»Hallo Mutti, was gibt’s?«
»Hast du Lust, heute Abend mit mir und Lisa Blankenagel ins Kino zu gehen?«
»Was? Nein, Babsie hat doch heute Geburtstag. Wie kommst du denn jetzt darauf? Und welche Lisa?«
Karins linke Hand krallte sich ins Lenkrad. Warum muss ihre Freundin ausgerechnet heute Geburtstag haben?
»Lisa Blankenagel. Es handelt sich um das Mädchen, das vergewaltigt worden ist, ich hatte dir davon erzählt. Kannst du nicht hinterher auf den Geburtstag, ich setze dich dort ab. Bitte, es bedeutet mir wirklich sehr viel.«
»Boah Mutti, ist eure Psychotante in Urlaub? Ich kann nicht später gehen, ich muss morgen früh raus.«
»Dann gehe doch jetzt zur Babsie, es ist doch erst 5 Uhr. Bitte, es ist sehr wichtig. Ich mach’s wieder gut, versprochen.«
Die Stille wirkte bedrohlich. Karin kam es vor, als würde der Sekundenzeiger der Borduhr jeden einzelnen Schritt genauestens überdenken. Sie durfte Lisa jetzt nicht enttäuschen. Schweres Atmen drang durchs Telefon. Für Karin ein positives Signal.
»Meinetwegen, wenn Ulf mich fährt. Mit dem Bus lohnt es sich nicht mehr.«
»Macht er bestimmt, vielen Dank, Schatz.«
40
Die Dachgeschosswohnung in der Druckerstraße im Oberhausener Stadtteil Alstaden-Ost war höchstens 50 Quadratmeter groß. Die Möblierung stammte vermutlich aus den 80er-Jahren. Auf den Teppichböden waren überall alte Flecken erkennbar. Ansonsten war die Wohnung ordentlich und sauber. Ein Hauch von Möbelpolitur lag in der Luft.
Vier Kriminalbeamte durchsuchten jeden Winkel und jedes mögliche Versteck der Zweiraumwohnung. Zusätzlich war noch Toni Opitz vor Ort. Den Kriminaltechniker hatte Joshua ohne Bornmeiers Wissen angefordert. Möglicherweise, so Joshuas Antrieb, befänden sich wichtige Spuren in der Wohnung, die auf einen zweiten Täter schließen ließen.
»Wonach suchen wir hier eigentlich?«, knurrte einer Richtung Joshua.
»Nach bewusstseinsverändernden Drogen, Waffen, verdächtigen Papieren … alles.«
Der Kollege schüttelte den Kopf. Joshua ging ins Badezimmer. Über dem matten Waschbecken befand sich ein Spiegelschrank. Joshua öffnete die Türen. Neben üblichen Badutensilien lagen eine Schachtel Aspirin und zwei weitere Medikamentenpackungen. Joshua verstaute sie in einen Spurenbeutel.
»Herr Trempe«, hallte es aus dem Schlafraum. Joshua eilte
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