Willenlos
herüber. Ein drahtiger Kollege stand auf einem Stuhl vor dem Schlafzimmerschrank. In der rechten Hand hielt er mit einem Spurenbeutel umklammert eine weiße Medikamentenschachtel. Joshua trat näher. In dunkelblauer Schrift war der Name des Medikamentes angegeben:
›Dormicum Midazolam‹.
»Lag gut versteckt hinter der Sichtblende. Welch ein Idiot, da suchen wir doch als Erstes.«
Joshua steckte die Schachtel in einen weiteren Spurenbeutel und verabschiedete sich sichtbar zufrieden.
Unterwegs hatte er die Anweisung gegeben, Leon Bartram in den Verhörraum zu führen. Über Handy erreichte er Karin, die Kollegin war bereits auf dem Weg zum Parkplatz, sie trafen sich im Nebenzimmer. Joshua berichtete ihr vom Ergebnis der Durchsuchung.
»Damit dürfte er einknicken.«
Leon Bartram bemühte sich um Lässigkeit. Hinter der betont gleichgültigen Mimik war Wut zu erahnen.
»Ich bin sehr gespannt, aus welchem Grund Sie mich zwei Minuten vor dem Abendessen hierher bestellen. Ist das Ihre Methode, wollen Sie mich mit solchen Kleinigkeiten mürbe machen?«
»Das dürften wir nicht nötig haben, Herr Bartram.«
Joshua zog den durchsichtigen Plastikbeutel mit dem Dormicum aus der Innentasche der Lederjacke und hielt ihn Bartram dicht vor die Augen. Bartram runzelte die Stirn.
»Was soll das? Wollen Sie mich betäuben?«
»Sie kennen das Präparat?«, wollte Karin wissen.
»Dormicum, selbstverständlich. Wenn Sie meine Akte gelesen hätten, wüssten Sie, dass ich promovierter Mediziner bin.«
»Wir haben Ihre Akten gelesen, Herr Bartram. Wir haben auch unsere Akten gelesen. Daraus geht hervor, dass die Opfer vor Ausübung der Tat mit diesem Medikament beeinflusst wurden!«, bluffte Joshua.
Bartram bewahrte die überheblich wirkende Coolness. Provokativ setzte er noch ein arrogantes Grinsen auf.
»Ich muss zugeben, das zeugt von einer gewissen Raffinesse. Es erfüllt mich mit Stolz, dass gerade Sie, für die ich lediglich den Status eines Ex-Häftlings haben dürfte, mir diese perfide Vorgehensweise zutrauen.«
»In Anbetracht der Lage, in der Sie sich befinden, Herr Bartram, verwundert mich Ihr Hochmut. Ist das eine Art Schutzhülle, mit der Sie Ihre abscheulichen Taten verdecken wollen?«
»Die Frau Seitz auf Abwegen. Haben gnädige Frau vielleicht ein Semester Psychologie studiert?«
Karin stellte sich die Frage, ob es tatsächlich Arroganz war oder ob Bartram von blindem Hass auf Justiz und Polizei getrieben wurde. Ein Gefühl, das seine Behauptung, 14 Jahre unschuldig gesessen zu haben, untermauern würde.
»Mir reicht es«, fauchte Joshua dazwischen, »wir haben diese Schachtel«, er wedelte den Beutel hin und her, »gut versteckt auf Ihrem Schlafzimmerschrank gefunden. Damit kriegen wir Sie dran. Sie stecken bis zur Oberkante Unterlippe in der Scheiße und klopfen weiter Sprüche. Das wird Ihnen bald vergehen!«
Joshua konnte nicht genau sagen, welche Gefühlsregung er erwartet hatte. Entsetzen vielleicht, möglicherweise auch einen Wutausbruch. Aber Bartram lächelte nur. Ein väterlich gutmütiges Lächeln, welches dafür sorgte, dass Joshua gedanklich die Beweislage rekapitulierte.
»Herr Trempe, wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: Sie sollten auch in Stresssituationen Ihre Kinderstube nicht gänzlich außer Acht lassen. Dadurch bewahren Sie sich ein Mindestmaß an Souveränität.«
Joshua ballte die Fäuste. Sein Bewusstsein projizierte den Boxring einer schäbigen Düsseldorfer Hinterhofhalle. Wie oft hatte er dort im Ring gestanden? Um einerseits überschüssige Aggressionen abzubauen und andererseits das nie ausreichende Gehalt aufzubessern. Der Gegner, anfangs verschwommen, kaum erkennbar, nahm zunehmend die Gestalt von Leon Bartram an. Langsam hob sich der rechte Arm. Bartram unterbrach den Film.
»Um auf Ihr Argument einzugehen. Sie glauben doch nicht tatsächlich, dass Sie mich mit einem derartig stümperhaften Bluff aus der Reserve locken können?«
»Wofür benötigen Sie Dormicum?«
»Ich benötige es nicht und ich besitze es auch nicht. Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Wenn das alles ist, möchte ich Sie bitten, mich zu entlassen. Ich habe morgen einen anstrengenden Tag. Außerdem schlafe ich in Ihren Gemächern erfahrungsgemäß schlechter.«
»Der glaubt, wir lassen ihn morgen ziehen«, wandte Joshua sich an Karin.
»Quatsch. Herr Doktor ist doch nicht naiv. Dass wir genug für eine längere Untersuchungshaft haben, ist ihm klar. Er
Weitere Kostenlose Bücher