Willi von Bellden (German Edition)
hinterhergerannt. Ich wusste es. Doch ich versuchte, sie mit hoch erhobener Nase zu ignorieren, was ich genau drei Sekunden lang schaffte, bevor mir Anny einen großen schmackhaften Knochen ins Maul schob, den ich unmöglich ablehnen konnte. Nicht heute an diesem wunderschönen Tag.
Ein paar Stunden später saß Tanner in der Sonne, ein Buch in der linken, die Zigarette in der rechten Hand. Obwohl es schon fast Herbst war, deutete an diesem Tag nichts darauf hin, das er bald kommen würde. Mit seiner neuen Sonnenbrille und dem unrasierten Gesicht sah er fast wie ein Kleinganove aus, was natürlich nicht im Geringsten seinem Naturell entsprach. Seit Tagen hatte mein Herr und Meister strahlende Laune, lachte bei jeder Gelegenheit, und sein Geduldsfaden war so dick wie ein Tau. Der Grund: Anny und die Kinder waren endlich zurück. Man muss noch erwähnen, dass Tanner eine besondere Spezies seiner Art ist, denn er ist anders als alle Menschen, die ich bisher kennengelernt habe. Mit wenigen Worten ausgedrückt: Er ist knorrig, cholerisch, jähzornig und hat einen Humor, den die allerwenigsten Menschen verstehen. Und wenn er mich nicht an seiner Seite hätte, dann wäre er – oh Bello (Bello ist unser Hundegott) – bestimmt schon längst verloren! Nach etlichen Wochen, in denen Kisten gepackt, transportiert und wieder ausgeräumt worden waren, wohnte die ganze Bande wieder hier. Mein Herrchen Tanner und mein Frauchen Anny hatten wohl gemerkt, dass sie zwar manchmal schlecht miteinander, aber auf keinen Fall ohne einander leben konnten. Aber vielleicht ist ihnen die kurze Trennung ganz gut bekommen, um überhaupt begreifen zu können, wie sehr man den anderen, trotz einiger unbequemen Eigenschaften, dennoch zu schätzen vermag. So waren wir jetzt wieder vereint, und ich genoss es sehr, schließlich hatte ich am meisten unter der Situation zu leiden gehabt: keine ständigen Krümel auf dem Boden, keine Leckerchen zwischendurch und keine Spaziergänge in unserem kleinen Dorf, bei denen ich immer den neuesten Klatsch erfahren konnte. Anny hatte mit den Kindern Tiara, Lulu und Mimi in dem kleinen Ferienhäuschen ein paar Kilometer weiter gewohnt. Aber jetzt waren alle wieder da! Bello sei Dank!
Wenn ich behaupten würde, dass mir seit der Gründung meiner eigenen Familie die komplette Lust am Streunen vergangen war, dann würde ich glatt lügen. Im Gegenteil. Jeder frischgebackene Vater wird mir recht geben, dass die Tage länger werden und die Nächte kürzer. Man fängt sogar damit an, die zweieinhalb Minuten des Toilettenganges, bei dem man in den allermeisten Fällen allein weilt, zu genießen. Ausschlafen ist zum Fremdwort geworden, genauso wie Durchschlafen. Außerdem tun plötzlich Körperteile weh, die im bisherigen Leben völlig unbekannt gewesen waren, da die spitzen Zähne der kleinen Quälgeister vor nichts und niemandem haltmachten. So etwas machte müde Rüden nicht gerade munterer.
Oskar, Goldie, Lilli und Lissi: meine Kinder; wie sehr sie mich auch strapazierten, ich liebte sie mehr als mein Leben und tue dies heute immer noch. So etwas verliert sich nicht. Anka, meine Herzensdame, war eine gute Mutter. Sie ließ alles klaglos über sich ergehen, umhegte und pflegte unsere Welpen und säugte sie mit aller Hingabe. Manchmal unter großen Schmerzen, angesichts der messerscharfen Zähnchen, doch sie entwickelten sich einfach prächtig. Im April waren zwei meiner T öchter, Lilli und Lissi, schon so groß wie ich, mein Sohn Oskar und Goldie, die eher nach mir kommen, gingen mir mit dem Kopf fast bis zur Schnauze. Anka, ihre Mutter und meine Angetraute im Hund’schen Sinne, ist eine goldfarbene Labradordame, die schönste, der ich je begegnet bin. Obwohl wir sehr unterschiedlich sind (ich gehöre der intelligenten Rasse der Jack Russel an), lieben wir uns, wie man sich nur lieben kann. Das Gute an der Sache ist, dass sie nur zwei Häuser neben uns wohnt.
Wie jedes Jahr waren die Besitzer von Anka, unsere Nachbarn Ida und Daniel, mit ihren zwei Kindern nach Frankreich zum Campen gefahren. Anny und Tanner hatten sich natürlich sofort bereit erklärt, Anka und ihre Welpen zu sich zu nehmen. Ich glaube, sie fühlten sich ein bisschen mitschuldig, da ich ja immerhin der Erzeuger dieser wunderschönen Nachkömmlinge war. Selbstverständlich wurde ich bei der ganzen Angelegenheit noch nicht mal nach meiner Meinung gefragt, aber ich versuchte, es positiv zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie mein stilles
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