Willkommen im sonnigen Tschernobyl
sollten sie dann mich stören?
Mit Kranichen hat der Crane Lake allerdings nicht viel zu tun, auch wenn er nach ihnen benannt ist. Man sollte ihn Entensee nennen – oder, noch treffender, »Suncor Entenparadies«, denn er ist nichts anderes als der Entenvorführsee von Suncor. Keine andere Landschaft wurde je so herausgeputzt mit Hinweisen, in welch landschaftlich reizvoller Gegend man sich befindet. Dort gibt es Entenbeobachtungsstände, Schautafeln zur Entenidentifizierung von einem Verein namens »Ducks Unlimited« und eine große Schar echter Enten, darunter vielleicht einige, die ich eben erst fast getötet hätte.
So ententoll war das Ganze, dass ich mich fragte, ob Suncor dem armen alten Syncrude-Konzern mit seinen Entenproblemen eins reinwürgen wollte. Sicher hatten irgendwelche Suncor-PR-Leute auf Schlagzeilen gehofft wie »Sauberes Wasser und Schilf: Wasservogelhimmel von Suncor neben Entenkiller Syncrude«.
Ich brach zu meiner Wanderung auf, der See lag rechter Hand, und schlenderte durch ein Meer von lila Wildblumen. Auch hier gab es Libellen und Mücken – die knurrenden Clans der Alberta-Art mit ihren muskulösen Unterarmen und Tribals. Aber ich war gerüstet: Don hatte mir eine Mückenschutzjacke geliehen, ein Nylonhemd mit einem kleinen Zelt für Kopf und Gesicht. Außerdem war ich mit DEET -Spray bewaffnet, so viel, dass ich ein ganzes Dorf hätte vergiften können. Ich war also guten Mutes und bereit, mich durch diese menschengemachte Natur zu schlagen und eine hübsche Aussicht über den gesamten Tagebau zu finden.
Als ich einen kleinen Holzsteg über einen morastigen Zufluss überquerte, lenkte mich ein dichter Wald junger Bäume linkerhand am Ostufer des Sees weiter Richtung Süden. Eine Holzbank, durch deren Planken schon Gräser wuchsen, war zum Wasser hin aufgestellt. Bis auf das sanfte Rauschen des Windes und den ständigen Kanonendonner herrschte Stille. Ich war ganz allein.
Doch je weiter ich ging, desto schaler kam mir das Crane-Lake-Naturerlebnis vor. Hier war alles Absicht – geformt , wie Don gesagt hatte. Es war zu ordentlich. Zu abgelegen. Auf halbem Wege wandte ich mich um und betrachtete das Dickicht junger Bäume, das in den Weg ragte. Von einem verschwörungs theoretischen Standpunkt aus machte es gerade diese Undurch dringlichkeit sehr wahrscheinlich, dass sich auf der anderen Seite etwas Interessantes, ja vielleicht sogar Spektakuläres oder gar Höllisches befand.
Zehn Sekunden später waren See und Pfad nicht mehr zu sehen, ich schlug mich durch die Bäume, schob Äste aus dem Weg und pflügte durch dichte Spinnweben, die sich auf mein Gesichtszelt legten. Nachdem ich mich einige Minuten durchs Gebüsch gekämpft hatte, kamen mir Zweifel, ob das eine so gute Idee war. Wohin ich auch blickte, sah alles gleich aus: hochgewachsene junge Bäume, dicht an dicht, umschlossen mich. Ich war mir nicht einmal sicher, aus welcher Richtung ich gekommen war. Ich konzentrierte mich auf die Vorstellung, gleich durch die Bäume auf einen grandiosen Felsvorsprung zu treten und freien Blick über das Abbaugebiet zu haben, auf dem Lkws rumpelnd hin und her fuhren.
In der Ferne sah ich etwas Helles durch die Bäume und ging darauf zu, überquerte eine kleine Lichtung und stürzte mich dann wieder in wucherndes Walddickicht. Ich sprang über einen kleinen Wassergraben oder Bach und ging in Richtung einer, wie mir schien, großen, offenen Fläche. Sie war ganz nah. Ich stieg einen kleinen Hügel hinauf. Er gab nach wie Schlamm, und ich sank mit einem Fuß ein. Ich zog den Fuß wieder heraus und hüpfte weiter. Vor mir sah ich den Himmel. Im Geiste bereitete ich eine Fanfare vor und trat aus dem Wald heraus.
Doch da gab es keine Aussicht. Kein Ölsand. Stattdessen stand ich am Rand eines lauschigen kleinen Sumpfgebietes. Brackiges Wasser blinkte in der Sonne.
Verdammt!
Der Weg war versperrt durch dieses abstoßende Bild friedlicher Natur. Angewidert machte ich kehrt. Da hatte die teuflische Hand von Suncor ihre Finger im Spiel. Immer waren sie mir ein paar Schritte voraus, lockten mich mit dem Sirenengesang von Vogelabschreckkanonen – und dem Dröhnen ferner Maschinen, wenn ich mir das nicht einbildete –, nur um mir dann Feuchtgebiete vor die Füße zu werfen.
Und nun wusste ich nicht mehr weiter. Unter dem Gesichtszelt halb blind und überhitzt, ging ich, wie ich hoffte, in Richtung See. Äste zerrten an mir. Die Mücken umschwirrten mich, knackten mit den Fingern und
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