Willkommen im sonnigen Tschernobyl
sagten, es sei das Schrecklichste, was sie je gesehen hätten. Und dann hat man Ingenieure hier oben, die sagen nur: ›Sieht eben aus wie ein Tagebau.‹«
Als wir gerade überlegten, das Gebiet noch einmal zu überfliegen, knackte das Funkgerät.
Privatflugzeug, bitte Mindestabstand und -höhe vom Syncrude-Betrieb einhalten.
Das war der Sicherheitsdienst von Syncrude. Das Unternehmen besaß eine eigene Luftverkehrskontrolle. Terris verzog das Gesicht. »Ich hatte gehofft, dass niemand zu Hause wäre.« Aber es spielte keine Rolle. Denn nun kam das Abbaugebiet von Suncor in Sicht.
Es ragte in der Ferne auf. Besser gesagt, tat es das Gegenteil von Aufragen, es klaffte auf wie der Grand Canyon, wenn man ihn zum ersten Mal aus dem Fenster eines Passagierflugzeugs sieht. Es hat keinerlei Ähnlichkeit mit einem Berg oder einer Gebirgskette. Selbst die Rocky Mountains modulieren die Landschaft nur, sie reißen keine Lücke hinein.
Nun sahen wir diese Öffnung, wo ein Krater in die Erdoberfläche gestanzt war und die Erde aufzuhören schien.
Dorthin drehte Terris ab. Er umkreiste den Abgrund, legte die Cessna auf die Seite, sodass wir von oben genau in ihn hineinschauen und die Dutzenden kleinen gelben Kipplaster sehen konnten. Da befuhren sie ein kurvenreiches Geflecht unbefestigter Straßen in einer Kraterlandschaft. An einer Stelle rasten sie voll beladen und überraschend schnell zurück zu den Schütten, Wolken von aufgewirbelter Erde und Staub hinter sich herziehend. Dort, in der behaglichen Verwüstung einer kleineren Grube, warteten sie zu zweit oder zu dritt, bis sie an der Reihe waren, und näherten sich dann, wie Arbeiterinnen der Bienenkönigin, einem Minenbagger. Eilig ging es dann wieder zurück, um die Ladung abzuliefern.
Ich drückte die Stirn gegen die Plexiglasscheibe. Im Osten und Süden sah ich Wald. Aber im Norden war nur die Mine.
Entsetzt war ich nicht. Aber ich hatte ein eigenartiges Gefühl. Ein Problem mit dem Maßstab. Die Trucks und Bagger wirkten so winzig wie Spielzeuge – und doch so groß. Ich hatte die ganze Woche über Größe und Gewicht nachgedacht, war immer wieder Synonyme für riesig durchgegangen. Mit einer ungeheuren Wucht ragen die größten Maschinen der Welt neben einem Menschen auf. Nun glichen sie emsigen Käfern in einem Sandkasten, zwergenhaft geworden durch die selbst ausgehobene Grube, den gewaltigen Fußabdruck.
»Sie sehen aus wie Ameisen!«, rief Terris mir über das Headset zu.
Aber das stimmte nicht. Sie waren zu groß für Ameisen. Ihre Unfähigkeit, bloß ein paar Pünktchen zu sein, machte sie noch größer – sie schienen umso mehr zu wachsen, je kleiner sie wurden.
Davon konnte einem schwindlig werden. Und beim Anblick des weiten Himmels um uns herum wusste ich, dass dieser alles verschlingende Tagebau auch nur ein Nadelstich auf dem sich drehenden Erdball, der Erdball ein Staubkorn im Nichts, und dieses Nichts wieder ein Staubkorn in einem noch größeren Nichts war, und ich presste meine Stirn ans Fenster und mir war – ein ganz klein wenig nur – zum Kotzen.
DREI RAFFSTADT
DREI
RAFFSTADT
PORT ARTHUR, TEXAS UND DIE ERFINDUNG DES ÖLS
Erzählt man den Leuten, dass man eine Bildungsreise zu Schauplätzen der Umweltverschmutzung macht, reagieren sie meist ganz begeistert. Überraschend viele sagen, sie würden gerne mitkommen, und auch wenn das für gewöhnlich nur leere Worte sind, ist es erfreulich zu wissen, dass der Markt da ist.
Am meisten interessiert die Leute die Liste. Wie wähle ich die Ziele aus? Nach welchen Kriterien? Und alle machen Vorschläge. Jeder hat einen Lieblingsort: eine grauenhaft versmogte Stadt, eine Mülldeponie in einem Entwicklungsland. Manche bleiben bei den Industrieunfällen und kommen von Tschernobyl direkt zu Bhopal. Aber das ist zu kurz gegriffen. Und wenn mich ein Ort interessieren würde, der Inbegriff eines Umweltproblems ist, dabei aber nicht besonders abstoßend? Sollte ich den auslassen, nur weil er nicht extrem »verschmutzt« ist? Unzählige Kriterien werden genannt: Arten der Umweltverschmutzung, Weltregionen, Freizeitmöglich keiten …
»Ich versuche, eine repräsentative Auswahl zusammenzustellen«, sage ich dann.
*
Von Alberta geht ein starker Sog nach Süden. Deshalb will man dort eine Pipeline bauen. Das heißt, noch eine Pipeline, eine, die länger und besser als die bestehende ist. Sie würde Kanada über die Grenze zwischen Alberta und Montana verlassen und mitten durch das
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