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Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
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Bagger platziert werden sollten.
    »Ich habe großen Respekt davor«, sagte er. Er war verantwortlich für die geologische Datenbank eines der profitabelsten Unternehmen Kanadas.
    Aber in seiner Begeisterung schwang ein nachdenklicher Unterton mit. »Ich mache mit beim Abbau, aber nicht bei der Lösung des entstandenen Problems«, sagte er. »Das Budget für die Rekultivierung ist, verglichen mit den Gewinnen, die sie machen, sehr klein.« Er schüttelte den Kopf. »Da sollten sie etwas großzügiger sein.« Tatsächlich wurde nur ein winziger Anteil des Ölsandlandes je von der Regierung als rekultiviert anerkannt.
    Die Antwort darauf waren seiner Meinung nach stärkere Umweltauflagen. Doch die Regierung von Alberta rührte keinen Finger.
    »Sie bekommt Milliarden Dollar Förderabgaben«, sagte er. »Besitzt man Land, erlaubt die Regierung von Alberta einem, das Öl rauszuholen. Sie ist am Profit interessiert.«
    Die späte Dämmerung des Nordens war angebrochen. Im Wohnzimmer wurde es dunkel.
    »Glauben Sie, dass Sie die Erde zerstören?«, fragte ich.
    Don seufzte. »Was die Umweltverschmutzung angeht, nein«, sagte er. »Es gibt flussabwärts Leute, die behaupten, von den Ölsandarbeiten Krebs zu bekommen, dabei leiten wir überhaupt nichts ins Wasser.« Zwar schenkte Don den Behauptungen, es gebe im Athabasca Karzinogene, keinen Glauben, aber er war kein Klimaskeptiker. Beim Abbau von Ölsand, der Extraktion und Aufbereitung des Bitumens wurde eine gewaltige Menge Brennstoff verheizt – was einen ungeheuren CO 2 -Ausstoß bedeutete. Und das bereitete ihm Kopfschmerzen.
    »Ich habe einmal eine Karte mit den CO 2 -Emissionen Nordamerikas gesehen«, sagte er. »Über Fort McMurray verdichtete sich alles. Dort wird vermutlich so viel Kohlendioxid ausgestoßen wie in ganz Los Angeles.«
    Das erschien mir unmöglich – Los Angeles war hundertmal größer als Fort McMurray.
    Don hatte eine Art, über diese Dinge zu sprechen, die ich eher von einem Umweltaktivisten erwartet hätte – dabei arbeitete er daran mit, die Grube zu vergrößern. Viel mehr noch als ich selbst verkörperte er Kanadas Zerrissenheit in Bezug auf Ölsand und die Folgen seiner Gewinnung.
    Aber wir alle sind in diesem Paradox gefangen. Alle, die Teil der Zivilisation sind und sich zugleich um die Umwelt sorgen. Die Zivilisation erhält und schützt uns als Individuen und Gemeinschaften, aber sie ist mehr als nur ein System für Schutz, Nahrung und Ordnung. Wir sind die Zivilisation. Die Einheit des Organismus Menschheit ist nicht der Einzelne, sondern die Gesellschaft. Was auch geschieht, isolierte Individuen können das Menschengeschlecht weder aufrechterhalten noch voranbringen. Es überlebt nur als Gesellschaft.
    Heute, da die Gesellschaft eine industrielle ist, ressourcenhungrig und erdumspannend, und sich unkontrollierbar vergrößert, glauben wir, dass sie ihren eigenen Wirt zugrunde richtet. Kein Wunder also, dass die Unschuld der Gesellschaft von einigen ihrer Mitglieder angezweifelt wird. Sie fragen sich, ob das, was ihnen erlaubt, zu existieren – das, was sie sind  –, im Kern nicht schon faul ist.
    Das ist die Hassliebe, in die wir alle verstrickt sind, und es ist die Grundlage für all unsere individuellen Entscheidungen, die die Umwelt betreffen. Ob wir nun vom Recycling sprechen, von Stimmabgaben, von Kaufentscheidungen, politischer Agitation oder von radikalen Experimenten, sich vom Stromnetz abzukoppeln – es handelt sich bei alldem um Versuche zur Quadratur des Kreises, Bestrebungen, unsere individuelle Rolle in dem beunruhigend wenig nachhaltigen System, das uns am Leben erhält, zu entschärfen – oder besser wiedergutzumachen. Es geht nicht nur darum, nachhaltig zu leben, sondern darum, wie wir mit uns selbst leben können.
    Was Los Angeles angeht, hat Don sich übrigens vertan: Die CO 2 -Emissionen von Fort McMurray sind nicht genauso hoch wie die von LA  – sie sind doppelt so hoch.
    *
    Nach dem Reinfall der Bustour machte ich mich auf die Suche nach einem landschaftlich reizvollen Aussichtspunkt. Ich fuhr zum Crane Lake, einem Suncor-Rekultivierungsgebiet, das mir wie ein guter Auftakt für ein bisschen kreatives Herumschnüffeln erschien.
    Der Ausdruck Rekultivierung fällt hier oft, nicht nur bei Don im Wohnzimmer. Es ist ein wichtiges Konzept für alle, die sich nicht ganz so schlecht fühlen wollen wegen des Tagebaus. Die Rekultivierungsvorschriften richten sich nach dem unpräzisen Gebot der

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