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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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daß ich Tränen in den Augen hatte.«
    Die zweite Frage stellte eine große und überaus auffallende junge Frau in der fünften Reihe, deren Haut, leider, leicht grünlich schimmerte. (Muntz, Miss Ida; Bleichsucht, Autointoxikation.) Sie stand auf, sichtlich aufgeregt angesichts all der neugierigen Blicke, die auf ihr ruhten, und räusperte sich. »Doktor«, fragte sie in wehleidigem, zimperlichem Tonfall, »könnten Sie uns Ihre Meinung mitteilen hinsichtlich des heutzutage von jungen Frauen, natürlich nur in privatem Kreis, praktizierten Rauchens von Zigaretten?«
    Dr. Kellogg legte die Stirn in Falten. Er war wütend, erzürnt, ein Bollwerk rechtschaffener Standhaftigkeit und Empörung. Er wartete mit der Antwort, um die rückfälligen Zigarren- und Zigarettenraucher im Publikum mit einem strengen Blick zu bedenken. »Madame – oder Mademoiselle? –, Mademoiselle Muntz, dazu habe ich nur folgendes zu bemerken, und es gilt gleichermaßen für beide Geschlechter. Tabak« – und an dieser Stelle ließ sich der Doktor von einem langen Schauder durchfahren –, »Tabak zerstört die Geschlechtsdrüsen.«
    Jemand schnappte nach Luft. Miss Muntz sank, schwer getroffen, auf ihren Stuhl. Der Doktor blickte weiterhin steinern. »Und das«, sagte er, »ist eine medizinisch erwiesene Tatsache.«
    Genau in diesem Moment schoß Dr. Linniman durch die rückwärtige Tür, eine Aura atemloser Dringlichkeit um sich; er trug zwei identische, in weißes Metzgerpapier eingewickelte Pakete wie eine Opfergabe vor sich her.
    »Ah«, rief der Doktor aus und rückte seine Brille zurecht, »Dr. Linniman.« Und dann hob er den Kopf, um sich wieder dem ganzen Publikum zuzuwenden. »Und jetzt kehren wir, wenn es Ihnen recht ist, zu Mrs. Tindermarshs Frage bezüglich des Porterhousesteaks und seines Werts als Nahrungsmittel zurück –« Er unterbrach sich kurz, beugte sich nach vorn, um Dr. Linniman, der jetzt vor ihm stand, weitere Instruktionen zu geben: »Frank, würden Sie bitte die Waage überprüfen, die beiden Proben wiegen und zwei Scheiben von genau dem gleichen Gewicht vorbereiten? Danke.«
    Gemurmel im Publikum. Vereinzelt Gekicher und Applaus.
    »Meine Damen und Herren, ich werde Sie gleich mit zwei Kostproben konfrontieren, die, so hoffe ich inständig, Sie für immer von diesem widerwärtigen und unnatürlichen Nahrungsmittel abbringen werden. Ich sage ›widerwärtig‹ wegen seines hohen Gehalts an Bakterien – er kommt, das werde ich Ihnen vorführen, dem von Pferdekot gleich oder übertrifft ihn sogar –, und ich sage ›unnatürlich‹, weil Fleisch als Nahrungsmittel ein korrumpierendes Novum für den modernen Menschen ist, dessen Vorfahren, das haben bedeutende Forscher wie von Freiling in Deutschland und Du Pomme am Pasteur-Institut in Paris bewiesen, sich ausschließlich pflanzlich ernährten. Und ich werde zudem geltend machen, daß solche Nahrungsmittel in der Tat ›sündhaft‹ sind, wie Mrs. Tindermarsh sich auszudrücken beliebte, nicht nur in dem Sinn, daß es eine Sünde ist, anderen Geschöpfen das Leben zu rauben – und ich möchte annehmen, daß das erbärmliche Blöken der Herden, die zur Schlachtbank geführt werden, in den Ohren eines jeden Fleischessers klingen werden, sobald er abends den Kopf aufs Kissen bettet –, sondern daß wir natürlich die schwerste Sünde überhaupt begehen, indem wir den Tempel des menschlichen Körpers verunreinigen.«
    Das Publikum war jetzt mucksmäuschenstill, es saß hingerissen und reglos auf den orthopädischen Stühlen, die der Doktor selbst entworfen hatte. Irgend jemand – war das Mr. Praetz aus Cleveland? – unterdrückte ein Husten.
    »Frank?« Der Doktor wirbelte rasch herum zu Dr. Linniman, der hinter ihm auf das kleine Podium getreten war. »Sind wir soweit?«
    Ein schlichter Kiefernholztisch stand direkt hinter ihm; darauf lagen, gut sichtbar, das Rindersteak aus der Post Tavern und die körnige, stinkende Kostprobe aus dem Mietstall. Zwischen den beiden Ausstellungsobjekten hatte Dr. Linniman zwei identische Mikroskope plaziert und eine kleine, nackte, grelle Glühbirne, um den Tisch zu erleuchten. »Ja, Sir«, antwortete er. »Alles bereit.«
    »Gut.« Während er sich wieder dem Publikum zuwandte, ließ Dr. Kellogg seine Zähne in einem Lächeln aufblitzen und rieb sich genüßlich die Hände. »Nun, jetzt benötigen wir einen unvoreingenommenen Zeugen – gibt es Freiwillige? Nein? Wie steht’s mit Ihnen, Miss Muntz?«
    Kurzes

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