Wilsberg 03 - Gottesgemuese
die direkte Verbindung zwischen Flughafen und Ruhrgebiet.
»Werden wir verfolgt?«, fragte Kunstmann.
»Ich weiß es nicht. Kann auch Zufall sein.«
Bei Ratingen bogen die Scheinwerfer ab.
»Wir haben es geschafft«, verkündete ich. »In zwei Stunden sind wir im Polizeipräsidium von Münster. Und dann hat der Spuk ein Ende.«
Ich durchstöberte Sigis Kassettensammlung und wählte eine mit Tributen an Leonard Cohen. An die zwanzig Musiker und Gruppen hatten sich mit unterschiedlichem Erfolg an den Songs von Cohen versucht. Und zu Hey, that's no way to say goodbye bogen wir auf die A 43.
Bei Haltern und A singer must die hängte sich ein Wagen an unsere Stoßstange. Ein wenig später sagte Kunstmann: »Ich habe nicht den Eindruck, dass sie es schon aufgegeben haben.«
Ich fuhr langsamer, der andere auch. Ein schlechtes Zeichen.
Kurz vor der Ausfahrt Dülmen beschleunigte ich. Unser Verfolger blieb dran. Als wir die Ausfahrt beinahe passiert hatten, riss ich das Steuer herum und nahm die Abfahrt. Der Fahrer des anderen Wagens trat nach einer Schrecksekunde auf die Bremse und versuchte, uns zu folgen. Aber da hing er schon mit der Schnauze vor der Leitplanke.
»Nicht schlecht«, sagte Sigi. »Wo hast du das gelernt?«
»Das Detektiv-Fernstudium enthält auch einen Schleuderkurs«, sagte ich.
Wir kamen auf die Bundesstraße 51, Richtung Buldern. John Cale sang: The minor fall, the major lift / The baffled king composing Hallelujah. Ich suchte den Rückspiegel nach Autoscheinwerfern ab.
»Pass auf!«, schrie Sigi.
Ich guckte nach vorn. Ein Cadillac rollte langsam aus einer Nebenstraße. Ich stieg auf die Bremse. Es war zu spät.
XVII
Das Hallelujah von John Cale klang mir noch in den Ohren, aber es hatte einen unguten Unterton, der sich nach Engeln, Tod und Jenseits anhörte. Den Krankenwagenfahrern, die mich festschnallten, erzählte ich nichts davon. Ich glaubte nicht, dass sie dafür großes Interesse aufbringen würden. Vermutlich kreisen die Gespräche mit Schwerverletzten sowieso immer um dieselben Themen. Deshalb beließ ich es bei einem unartikulierten Stöhnen.
Während der Fahrt betrachtete mich eine junge weiß bekittelte Frau mit sorgenvoller Miene. Sie füllte das Blut nach, das irgendwo aus mir herausfloss, und überprüfte ab und zu meinen Puls. Der Fahrer heizte wie ein Berserker, und ich fragte mich, ob nicht viele Menschen aus purer Angst vor einem neuen Unfall auf dem Weg zum Krankenhaus sterben.
Ich startete einen Versuch, mich nach Sigi und Kunstmann zu erkundigen, brachte aber nur ein Gurgeln heraus.
»Sie dürfen nicht reden«, sagte die Frau streng. »Bleiben Sie ganz ruhig liegen!«
Mehr hatten wir uns nicht zu sagen, und so dämmerte ich den Rest der Strecke vor mich hin, gelegentlich aufgerüttelt durch die rallyemäßige Kurventechnik des Krankenwagenfahrers.
Auf der Rollbahn zwischen Wagen und Klinik machte mich die kalte Luft noch einmal wach, aber als ich dann auf dem OP-Tisch lag, war es mit der Konzentration endgültig vorbei. Ich sackte weg, in ein süßes, leicht nach Krankenhauschemikalien riechendes Nichts.
Als ich wach wurde, hatte ich einen guten Überblick über Münster. Ich lag in einem der Türme der Universitätsklinik, etwa 20. Stockwerk. Ein paar Apparate summten, tickerten und brummten. Ich war verdrahtet und verkabelt und kam mir vor wie eine Relaisstation. Langsam drehte ich den Kopf zur anderen Seite. Durch eine Glasscheibe sah ich Klaus Stürzenbecher, der sich mit einem Arzt unterhielt. Ich hob den Arm zum Zeichen, dass ich gesprächsbereit sei. Stürzenbecher und der Arzt diskutierten angeregt. Ich winkte. Endlich sah Stürzenbecher zu mir herüber. Er drückte dem Arzt hastig die Hand und kam herein.
»Na, alter Junge! Diesmal hat's dich aber schwer erwischt.«
Ich grunzte.
»Vielleicht interessiert dich, wie es den anderen geht: Sieglinde Bach hat nur leichte Verletzungen, Martin Kunstmann ist schwerer verletzt, wird aber durchkommen.«
»Was ist mit mir?«, fragte ich.
Stürzenbecher hatte nicht verstanden. Er beugte sich zu mir herab, und ich wiederholte die Frage.
»Die Ärzte wissen noch nichts Genaues. Sie wollen die nächsten Untersuchungen abwarten.«
Ich schloss die Augen.
»Aber es besteht durchaus Grund zur Hoffnung.«
Ich winkte mit der Hand sein Ohr vor meinen Mund. »Der Koffer«, flüsterte ich.
»Koffer? Welcher Koffer?«
»Aktenkoffer. Papiere der KAP.«
»Man hat keinen Aktenkoffer mit Papieren gefunden. Aber ich kann
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