Wilsberg 03 - Gottesgemuese
I
Draußen tobte ein Schneesturm, der den historisierenden Giebeln des Prinzipalmarktes Pappnasen aufsetzte. Flüchtende Einkäufer rutschten über das Kopfsteinpflaster und die Busse der Stadtwerke zermalmten den Schnee zu gräulich breiiger Pampe. Ich stand am Fenster, genoss die Wärme meines gut temperierten Büros und dachte an die Tage, an denen mich mein negativer Kontostand gezwungen hatte, mir wegen eines läppischen Auftrags nasse Füße und eine chronische Bronchitis zu holen. Graue Vorzeit.
Die Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch schnarrte. »Deine Ex-Freundin Elke ist am Telefon«, sagte Sigi, die Sekretärin.
Ich drückte auf den Knopf. »Ich bin nicht da.«
»Sie hat heute schon zweimal angerufen.«
»Egal. Sag ihr, ich wäre auf einer Dienstreise.«
Sigi äußerte grummelnden Protest, doch das Telefon blieb stumm.
Seit einem halben Jahr leistete ich mir den Luxus einer Sekretärin, den Luxus eines großzügigen und gut möblierten Büros direkt am Prinzipalmarkt, schräg gegenüber vom Rathaus, und den Luxus, nur die Aufträge anzunehmen, die mir passten. Mit Recherchen und Handlangerdiensten beauftragte ich freischaffende Privatdetektive, meist abgehalfterte und übel beleumdete Polizisten, die sich für zwanzig Mark pro Stunde bei Nacht und Nebel die Beine in den Bauch standen. Das Ergebnis ihrer mühseligen Kleinarbeit präsentierte ich dann in einem aufwendigen Abschlussbericht auf edlem Papier. Das richtige Ambiente brachte die richtigen Kunden, und allmählich bekam ich die Aufträge, die mich in der Sparkasse bis in die oberste Etage führten.
Der Glücks- war eigentlich ein Trauerfall. Willis Onkel, der sich vor dreißig Jahren in die schottischen Berge zurückgezogen hatte und von der Familie vergessen worden war, hatte sich eines Tages unbemerkt aus dem Leben verabschiedet. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass der alte Herr über ein beträchtliches Vermögen verfügte. Und das hatte er, kinderlos wie er war, einem einzigen Erben vermacht, seinem Patenkind Willi.
Willi, Geschäftsführer und zehnprozentiger Anteilseigner unseres gemeinsamen Secondhandkaufhauses im Bahnhofsviertel, erfüllte sich mit dem Geld einen Lebenstraum, nämlich die restlichen neunzig Prozent zu kaufen, damit er endlich alleine schalten und walten konnte. Ich verkaufte sie ihm gerne, denn das Verhältnis zwischen Willi und mir war seit Langem nicht mehr das, was es früher einmal gewesen war. Außerdem hatte ich mich in dem Kaufhaus nie so wohl gefühlt wie in meinem alten Briefmarken- und Münzladen; und als Willi dann noch durchsetzte, dass die angeblich unrentablen Briefmarken und Münzen aus dem Erdgeschoss des Kaufhauses in die hintere Ecke der zweiten Etage verbannt wurden, beschränkte sich mein Spaß am Kaufhausbesitzen auf die Durchsicht der monatlichen Bilanzüberschüsse.
Also nahm ich Willis Geld, räumte das Büro in dem ungeliebten Kaufhaus und etablierte mich am Prinzipalmarkt als gut situierter und angesehener Privatdetektiv, dem man bald die Aufnahme in den örtlichen Golfklub nicht mehr verweigern konnte.
Die Gegensprechanlage schnarrte wieder. »Eine Frau Kunstmann ist hier und möchte Sie sprechen.«
Wenn Klienten im Raum waren, verwendete Sigi das seriöse ›Sie‹.
»Lassen Sie sie bitte herein!«, antwortete ich. Normalerweise spielten wir das Herr-Wilsberg-ist-sehr-beschäftigt-Spiel, aber ich langweilte mich bereits seit zwei Stunden.
Sigi öffnete die Tür und schenkte mir ein komplizenhaftes Lächeln. Den Grund dafür sah ich eine Sekunde später. Frau Kunstmann war die Klientin, von der Privatdetektive träumen, wenn sie in vereisten Autos sitzen und kalt gewordenen Kaffee schlürfen.
So unbeeindruckt wie möglich stand ich auf und gab meiner Stimme jenen Klang, den Psychologen und Rechtsanwälte zu ihrem wichtigsten Kapital zählen: »Guten Tag. Georg Wilsberg.«
»Anja Kunstmann.«
Wir gaben uns die Hände, und ich erwischte einen Blick ihrer blaugrünen Augen.
»Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen?«, erkundigte ich mich, während ich aus den Augenwinkeln sah, dass Sigi sich köstlich amüsierte.
»Frau Bach, könnten Sie uns bitte zwei Tassen Kaffee bringen!«, sagte ich und drückte Sigi den Mantel in den Arm. Dann geleitete ich Anja Kunstmann zu der kleinen Gesprächsecke mit den zwei Lederfreischwingern und dem Rauchtisch.
Sie kramte in ihrer Handtasche herum und brachte ein silbernes Zigarettenetui zum Vorschein. Als sie die Zigarette schon im Mund
Weitere Kostenlose Bücher