Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
endlich den letzten Termin verkündet hatte, durfte jemand von der Sitzung eines Gremiums berichten, das zwischen den Parteitagen tagte und in dem, wollte man dem Redner glauben, geradezu bahnbrechende und zukunftsweisende Richtungskämpfe tobten.
So war glücklich eine Dreiviertelstunde vergangen, bevor der Tagesordnungspunkt aufgerufen wurde, der alle Anwesenden am meisten interessierte: das Kappenstein-Projekt.
Die Kämmerin, die mir schräg gegenübersaß, hatte die ganze Zeit in ihren Unterlagen geblättert und sich Notizen gemacht. Jetzt klopfte sie die losen Blätter auf der Tischplatte zu einem ordentlichen Stapel zusammen und lehnte sich zurück. Sie sah entspannt und selbstsicher aus, nur der Finger, mit dem sie ihre graue Schläfensträhne umwickelte, verriet ihre Nervosität.
Heiner Kleine-Langen, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat, ergriff als Erster das Wort. Er skizzierte den Werdegang des Kappenstein-Projekts von der ersten Anfrage des Global Artists -Konzerns bis zum jetzigen Planungsstand. Die SPD habe aus ihrer Befürwortung des Projekts nie einen Hehl gemacht, deshalb sei der Themenpark ein zentraler Punkt der Koalitionsverhandlungen gewesen. Schließlich habe man sich auf einen Kompromiss geeinigt: nur wenn alle ökologischen Bedenken ausgeräumt, eine friedliche Einigung mit den Kappenstein-Anwohnern erreicht und eine umweltverträgliche Verkehrsplanung möglich seien, dürfe in die konkrete Planungsphase eingestiegen werden. Heute, zwei Jahre später, habe sich jedoch das genaue Gegenteil herausgestellt. Ökologische Gutachten hätten ergeben, dass der Themenpark eine gravierende Schädigung der Boden- und Luftqualität in der näheren Umgebung mit sich brächte. Zudem würde das etwa zwei Kilometer entfernte Vogelschutzgebiet durch die Lärmbelästigung gestört. Die zu erwartenden Publikumszahlen machten eine vierspurige Straßenanbindung notwendig, die den Grüngürtel in Münsters Norden durchschneiden und zu einem enormen Abgasausstoß führen würde. Dies widerspreche dem Klimabündnis, dem Münster beigetreten sei und das eine Verringerung des CO 2 -Ausstoßes beinhalte. Und, nicht zuletzt, sei es Global Artists nicht gelungen, sich mit den Anwohnern von Kappenstein zu einigen. Die Mehrheit der Kappensteiner lehne den Themenpark ab und wolle ihre Grundstücke nicht freiwillig verkaufen.
Kleine-Langen machte eine Pause und warf sich in die Brust. »Nach dem Koalitionsvertrag ist die Lage also eindeutig: das Kappenstein-Projekt muss abgelehnt werden.«
Zustimmendes Klopfen an den beiden Tischreihen.
»Doch was sagt die SPD?«, donnerte der Fraktionsvorsitzende. »Sie will den Park trotzdem genehmigen. Die Koalitionsvereinbarung sei von der wirtschaftlichen Entwicklung überholt worden. Die finanzielle Situation der Kommune und das Problem der Arbeitslosigkeit ließen nicht zu, auf eine solche Investition zu verzichten. Dies, liebe Parteifreunde, ist ein klarer Bruch des Koalitionsvertrages.«
Erneutes Klopfen.
»Und es kommt noch schlimmer«, grollte Kleine-Langen. »Für den Fall, dass wir dem Kappenstein-Projekt nicht zustimmen, hat die SPD bereits signalisiert, dass sie es zusammen mit der CDU durchsetzen wird. Damit provoziert sie bewusst ein Ende der rotgrünen Koalition in Münster. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Ihr wisst, wie sehr ich ein Ende der Koalition bedauern würde. Gemeinsam mit der SPD haben wir einiges erreicht – ich erinnere nur an die Verkehrsberuhigung in der Innenstadt –, aber in diesem Fall nachzugeben hieße, dass wir uns für die Zukunft erpressbar und zum willigen Anhängsel der SPD machen würden. Aus Rücksicht auf unsere Wähler und um unserer Identität willen dürfen wir nicht nachgeben. Jetzt ist Konsequenz gefordert.«
Kleine-Langen setzte sich, begleitet von heftigem Beifall.
Nach dem rhetorischen Bravourstückchen des Fraktionsvorsitzenden hatte der erste Befürworter des Kappenstein-Projektes, nämlich Dirk Holthausen, naturgemäß einen schweren Stand. Auch er kritisierte den Opportunismus der SPD, verwies allerdings darauf, dass Global Artists einige Zugeständnisse gemacht habe. So sei die Fläche des Themenparks, gegenüber der ursprünglichen Planung, um etliche Hektar verringert worden. Durch hohe Lärmschutzwälle wolle man die Beeinträchtigung der Anwohner in Grenzen halten. Und schließlich sei die Schaffung von dreihundert Arbeitsplätzen, die Global Artists zugesichert habe, nicht einfach mit
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